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Leben mit CML – Manchmal ein Kunststück

Am Welt-CML-Tag 22. September fand ein Onlineseminar für Patientinnen und Patienten der Deutschen CML-Allianz und der Patientenorganisation LeukaNET e.V. statt, das über aktuelle Entwicklungen der Behandlung informierte.

Hier sieht man einen Seiltänzer auf einem Seil und den Schriftzug „Manchmal ein Kunststück“. Logo Welt-CML-Tag
Das offizielle Deutsche Logo des Welt-CML-Tag symbolisiert, was das Leben mit CML ist: “Drahtseilakt” und “Kunststück” zugleich. © LeukaNET und CML Advocates Network

Die chronische myeloische Leukämie, kurz CML, erfordert oft ein Leben lang medikamentöse Behandlung, die trotz immer zielgenauerer Ansätze auch Auswirkungen auf die Lebensqualität von Betroffenen hat. Dem müssen Behandelnde und Forschende mehr begegnen, so Jan Geißler, Patientenvertreter, Strategiekreismitglied der Dekade gegen Krebs und einer der Vortragenden.

Ebenfalls Referent war Professor Andreas Hochhaus, Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie des Universitätsklinikums Jena und Koordinator der Deutschen CML-Allianz. Er berichtete im Seminar neueste Erkenntnisse zur CML-Therapie und zu Optimierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Nebenwirkungen.

Jan Geißler ist selbst CML-Patient. Auch in seiner Tätigkeit als Patients Advocate nimmt er die Sichtweise Betroffener ein. Er wies im Seminar darauf hin, dass deren Bedürfnisse manchmal bei der Behandlung zu kurz kämen. Das liege auch an fehlenden Daten, die schon in der Forschung erhoben werden müssen.

Aktuelles aus Therapie und Forschung

Statistiken zeigen: Auch wenn der Trend immer mehr hin zu personalisierten Methoden geht, die ganz gezielt die Tumorzellen angreifen, müssen viele CML-Patientinnen und -Patienten dennoch die Therapie wechseln oder die Dosis reduzieren wegen schlechter Verträglichkeit. Aktuell gebräuchlich sind sogenannte Inhibitoren. Das Wort Inhibitor leitet sich vom Lateinischen ab und bedeutet „anhalten“ oder „hemmen“. Und genau das machen diese Medikamente: Sie hemmen Proteine, die die Tumorzellen nutzen, um sich zu vermehren.

Bei diesen Proteinen handelt es sich meist um bestimmte Enzyme (so genannte Kinasen). Wird ihre Aktivität gehemmt, kann die Krebszelle nicht mehr unkontrolliert wachsen. Je gezielter der Wirkstoff angreift (je selektiver er ist), desto weniger hat das Auswirkungen auf gesunde Zellen, was die Gefahr von Nebenwirkungen vermindert.

Neu sind hier die STAMP-Inhibitoren. Professor Hochhaus berichtete von der ersten Zulassung, dem Asciminib, das hochselektiv am entscheidenden Krebsprotein ansetze: Am Enzym BCR-ABL1, das bei allen CML-Erkrankten die treibende Kraft für das Wachstum der Tumorzellen ist.

Wie können Medikamente Wachstumswege blockieren

BCR-ABL1 wird aufgrund eines veränderten Gens nur in den Krebszellen produziert. Normalerweise liegt die Information für ein Protein auf einem Gen. Das BRC-ABL1 entsteht aber aus zwei Genen: Ein Teil stammt aus dem Gen 22 (BCR) und ein Teil aus dem Gen 9 (ABL1).

In dem krankhaften Protein (genauer gesagt: Kinase) entsteht eine Art Kurzschluss, durch den es daueraktiv ist — die Zelle teilt sich immer weiter.

In der gesunden Zelle kann die Aktivität eines Proteins normalerweise an- und abgeschaltet werden, wie bei einem Lichtschalter. Doch im BRC-ABL1 ist die entscheidende Stelle, das Ärmchen, das den Aus-Schalter betätigen kann, durch die Bindung des zweiten Proteinteils besetzt und kann nicht mehr für das Abschalten sorgen. Hier greift Asciminib an, das sich stattdessen an den Aus-Schalter setzt — die Kinase wird inaktiv und die Zelle kann sich nicht mehr so rasant teilen.

Dosisoptimierungsstudien ermitteln, wann Verträglichkeit und Wirksamkeit gegeben sind

Um die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, finden Dosis-Optimierungsstudien statt. Dabei geht es darum, die Dosis so anzupassen, dass die Gefahr für Nebenwirkungen vermindert ist, nicht aber die Wirksamkeit gegen den Krebs. Professor Hochhaus fasst die aktuellen Erkenntnisse dazu zusammen.

Dosisoptimierung am Beispiel des Medikamentes Ponatinib

So könne man bei Ponatinib, einem der fünf bisher klassischen zugelassenen Inhibitoren, laut Studie von anfänglichen 45 mg bei gutem Ansprechen zügig bis auf 15 mg reduzieren. Unter der bisherigen Standarddosis von 45 mg treten verstärkt Gefäßnebenwirkungen auf, die sich so reduzieren ließen.

Wichtig zu verstehen sei aber, dass eine zu geringe Dosis bei einer Therapie auch die Gefahr für Resistenzbildung birgt, erläutert der Arzt. Daher müsse das immer zunächst unter kontrollierten Bedingungen in klinischen Studien genau geprüft werden.

Lebensrealität von Patientinnen und Patienten muss einbezogen werden

Jan Geißler informierte in seinem Part über Initiativen und Projekte von LeukaNET e.V. und dem CML Advocates Network, an denen er maßgeblich beteiligt ist. Er hob hervor, dass die sechs heute gebräuchlichen CML-Medikamente ein großer Erfolg waren — sie hätten aus einer tödlichen Erkrankung eine chronische gemacht. „Dennoch muss etwa die Hälfte der Betroffenen diese Therapien lebenslang nehmen“, so Geissler.

Daten aus Patientensicht sind wichtig

Patientenvertretende und im CML-Versorgungsbereich Tätige müssten sich daher Gedanken machen: „Wie können wir diese Betroffenen so gut wie möglich unterstützen, damit ihre Lebensqualität unter der Therapie so gut wie möglich ist?“. Er erläutert: „Wir wissen zwar, bei welchem Anteil der Patienten bestimmte Nebenwirkungen auftreten und wie schwer diese sind. Was wir aber oft nicht sehen: Treten sie nur zu Beginn der Therapie auf, kommen sie immer wieder oder sind sie ständig da?“ Auch welchen Einfluss das auf den Alltag, die Arbeitsfähigkeit und das Sozialleben habe, werde nicht systematisch erfasst.

Oft erfassten die Messinstrumente in Studien — meist Fragebögen — die Lebensrealität nicht ausreichend; wo sie erfasst werden, würden sie zu oft später nicht in Analyse und Berichterstattung einbezogen. Doch es sei wichtig zu wissen, wie sich Krankheit und Therapie auf die Lebensqualität auswirke. Sonst lerne man nur, wie sich Medikamente auf die Krankheit auswirkten. Hier müsse man bessere Daten zur Lebensqualität erheben bzw. Einsicht in existierende Studiendaten für Forschungszwecke geben.

Daten sind der Schlüssel für die optimalere Versorgung von Erkrankten

Jan Geißler zeigt Bilder der App Know your CML. CML-Online-Patientenseminar
Jan Geißler bedankt sich bei allen Betroffenen, die Ihre Daten zur Verfügung stellten und bat auch um Nachsicht, wenn sie für Studien seitenweise Fragebögen bearbeiten müssten. Doch das helfe der Gemeinschaft der Patienteninnen und Patienten, denn hieraus können neue Erkenntnisse für Therapie und den Umgang mit Nebenwirkungen und Langzeitfolgen gewonnen werden.

LeukaNET beteiligt sich auch an einem großen europäischen Big-Data-Projekt (HARMONY QoL/ IMI HARMONY), in dem Daten von vielen Studien zu Forschungszwecken zusammengebracht werden. Jan Geissler: „Wir arbeiten daran, dass auch zur Lebensqualität Auswertungen gemacht werden.“  

Zuletzt stellt er noch eine von seiner Patientenorganisation CML Advocats Network entwickelte App zur Selbsterfassung von Daten zu Laborergebnissen sowie Lebensqualität vor: „Know your CML“. Die anonymisierten Erfahrungen aller Nutzer sollen auch analysiert werden und dazu beitragen, die Lebensqualität auch außerhalb von Studien zu verstehen.

Auch die Nationale Dekade gegen Krebs hat in diesem Jahr 2022 besonders die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten im Fokus. Für mehr Patientenbeteiligung in der Krebsforschung hat sie die Allianz ausgerufen, die Sie hier unterzeichnen können.

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