WECAN 2021: Mit Wissen ist es einfacher
An Krebs Erkrankte und Genesene können aus ihrer Erfahrung neue Perspektiven in die Forschung einbringen - damit sich Wissenschaft dem widmet, was für Betroffene wirklich wichtig ist. Die dafür nötigen Fertigkeiten vermitteln Patientenakademien.
Um sich gegenüber ärztlichen oder wissenschaftlichen Entscheidern Gehör zu verschaffen und auf Augenhöhe mitreden zu können, braucht es inhaltliche Kompetenz, aber auch analytische und rhetorische Fähigkeiten. Patienten-Fürsprechende müssen zudem firm sein im Umgang mit Textverarbeitung, Organisation und Zeitmanagement sowie digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. All das erfordert viel Wissen und Fähigkeiten und ist nicht mal eben schnell nebenher zu erlernen. Patientenakademien bieten daher entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten an. Eine davon ist von WECAN, der Arbeitsgruppe der europäischen Krebspatienten-Netzwerke. Hier haben sich europäische Dachorganisationen von Krebspatientinnen und -patienten zu einem informellen Netzwerk zusammengeschlossen, mit dem Ziel, gut koordiniert gegenüber allen anderen Interessengruppen aufzutreten.
Bericht über die WECAN-Academy 2019
WECAN 2021: “Evidenzbasierte Patientenvertretung: Evidenzgenerierung und Publikationen”
Seit Ende 2020 bietet WECAN ein neues virtuelles Trainingsprogramm an, das Patientenvertreterinnen und -vertreter zum Thema Evidenzgenerierung und evidenzbasierte Patientenvertretung ausbildet. In diesem Rahmen bietet WECAN ein Training zum Thema Patientenpartizipation in wissenschaftlichen Publikationen an, denn Patientinnen und Patienten und die, die ihre Interessen vertreten, sind zunehmend Co-Autorinnen und Autoren von Studienveröffentlichungen, verfassen selbst Artikel über von ihnen generierte Evidenz (z.B. Umfragen oder Patientenpräferenzstudien) oder begutachten Artikel vor der Veröffentlichung in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
„Weltweit erstes Trainingsprogramm dieser Art für Patientenvertretende“
Ziel ist es, Patientenvertretende über den Publikationsprozess, die Publikationsplanung und den Peer-Review-Prozess zu schulen. Jan Geissler, Experte für Patientenpartizipation und Mitglied des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs, war an der Planung und Durchführung des Trainingsprogramms beteiligt. Er konstatiert: „Unseres Wissens ist es das weltweit erste Trainingsprogramm dieser Art für Patientenvertreter.“
Was bedeutet Evidenz und warum ist sie wichtig?
Ein zweiteiliges Webinar aus dieser Veranstaltungsreihe fand am 21. Juni statt. Zu Beginn startete Zack Pemberton-Whiteley vom weltweiten Acute Leukemia Advocates Network mit dem in der Medizin so wichtigen Begriff der Evidenz. Dieser bedeutet in etwa: solide Daten zu haben für das bestmögliche Vorgehen. Er betonte, dass es in der Argumentation immer einer Datengrundlage bedarf: „Es geht im Gesundheitssystem nicht nur um Meinung, sondern oft um belastbare Daten.“
Insbesondere Gesundheitsdienstleister, Behörden und Forschende müssen ihre Entscheidungen auf Evidenz stützen. Darüber was Patientinnen und Patienten wollen, gibt es aber wenige Daten. Oft basieren daher Entscheidungen auf Annahmen über die Wünsche der Betroffenen und ihre klinischen Bedürfnisse. An Krebs Erkrankte und deren Vertretende könnten mehr Wissen darüber einbringen, was sie wollen und brauchen. Das müssten sie aber auch anhand solider Daten tun. Für Entscheidungsträger sei es schwierig, belastbare Beweise zu ignorieren.
Teil 1 des Webinars: „Evidence-Based Patient Advocacy“
Pemberton-Whiteley erklärte das Konzept der „evidenzbasierten Patientenvertretung“: es geht um gezielte, auf soliden Daten beruhende, gut ausgebildete und professionelle Vertretung der Patienteninteressen sowie eine Evaluation der Wirkung und der Ergebnisse. Es basiert auf drei Kernelementen:
- gezielte Interessenvertretung gegenüber den jeweiligen Akteuren,
- Verwendung solider Daten über die Bedürfnisse und Präferenzen der Betroffenen
- und die Verwendung der passend konfektionierten Botschaften, um die Patientenbedürfnisse an die jeweilige Zielgruppe zu kommunizieren.
Dazu müssen Patientenfürsprecher jedoch die Fähigkeiten und Mittel zur Verfügung haben, um Evidenz in ihrer eigenen Gemeinschaft zu generieren und diese Evidenz gezielt anzuwenden. Angesichts der vielfältigen Anforderungen ermutigt Jan Geissler am Ende seines Vortrags dazu, mit überschaubarem Aufwand anzufangen, sich nicht entmutigen zu lassen oder sich nicht damit zu überfordern, gleich das ganz Große zu wollen. „Seid pragmatisch, fangt einfach an“, rät er den Teilnehmenden.
Tipps und Anhaltspunkte zum konkreten Vorgehen
… gibt Pemberton-Whiteley ebenfalls, z.B.
● Wie man solide Evidenz generiert
● Wie man Befragungen strukturiert und qualitative und quantitative Daten erhebt und nutzt
● Identifizierung von Subgruppen von Betroffenen und für welche eine bestimmte Forschungsfrage am Relevantesten ist
● Die Nutzung neuer Technologien in der direkten Erhebung von Patientendaten: Was sind patientengenerierte Daten, welche neue Technologien gibt es zur Erhebung, und wie verlässlich und erschwinglich sind sie beispielsweise.
Teil 2 des Webinars: „Patient involvement in publications“
Evidenz ist die wichtige Basis für eine wissenschaftliche Publikation. Wie man als Patientenvertreterin oder -vertreter eine Autorenschaft plant und umsetzt, ob eigene Forschungsergebnisse oder als Co-Autorin bzw. Autor, erläuterten Dr. Dawn Lobban und Amanda Boughey in der nächsten Session. Dies, leitete Geissler ein, „soll sicherstellen, dass das, was wir gelernt haben und was wir wissen, nicht nur in unseren Herzen und Gehirnen ist, sondern wir es so auf den Punkt bringen, dass andere Entscheidungsträger es lesen und verstehen können, indem wir die Daten produzieren und publizieren.“
Im Training für Patientenvertreter wird beispielsweise adressiert, wie man einschätzt, ob sich Forschungsergebnisse in einer von Experten begutachteten Zeitschrift veröffentlichen lassen, wie man eine Publikation plant und verfasst, wie man eine geeignete Fachzeitschrift auswählt und mit Redakteuren und Verlagen zusammenarbeitet, um was es beim Kreuzgutachten (Peer Review) geht, wie man eine Publikation zur Begutachtung einreicht, und die Ergebnisse später möglichst weit verbreitet. All das wurde mit Beispielen aus Fallstudien unterlegt und mit praktischen Umsetzungstipps von erfahrenen Expertinnen ergänzt. Das Training in vier Modulen wurde in Zusammenarbeit mit Spezialisten für Good Publishing Practice und medizinische Fachinformationen, dem Kommunikationsunternehmen ENVISION Pharma, entwickelt.
Die Inhalte des Trainings in der Übersicht
Modul 1:
● wie man die Chance, dass man seine Ergebnisse veröffentlichen kann, realistisch einschätzt
● die Phasen des Publikationsprozesses
● wichtige ethische Grundregeln beim Publizieren
● Aufgaben eines Autors.
Modul 2:
● die Erläuterung der Aufgaben eines Publication Steering Committes
● warum ein Publikationsplan von großer Bedeutung ist
● wie man die Zeit abschätzt, die für eine Publikation benötigt wird
● wie man eine passende Fachzeitschrift oder eine Konferenz aussucht.
Modul 3:
● Was wird in einer Veröffentlichung berichtet
● Was wird in welchem Abschnitt eines Fachartikels behandelt
● Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstellung einer Publikation
● Unterschied zwischen einer professionellen medizinischen Schreibunterstützung und Ghostwriting
Modul 4:
● Kostenlose Tools, die die Konsistenz eine Publikation überprüfen
● Passendes Anschreiben an Verlage erstellen
● Antworten auf Peer-Reviewer-Kommentare vorbereiten
● Praktische Wege, um die Forschungsergebnisse weit zu streuen (z.B. Zusammenfassung in einfacher Sprache)