Vision Zero 2021 – Rote Karte dem Krebs
Am 14. und 15. Juni 2021 fand das 7. Symposium "Innovations in Oncology. Vision Zero" statt. Dessen Ziel, jeden vermeidbaren Todesfall durch Krebs zu verhindern, wird von vielen im Bereich Onkologie aktiv unterstützt.
„Beim Fußball gibt es die bewährte Regel, dass ein Spieler, der sich grob unsportlich verhält, die rote Karte bekommt“, erklärt Christoph von Kalle einführend das Motto des Symposiums, das jährlich vom Netzwerk gegen Darmkrebs e.V. veranstaltet wird.
Bei den meisten helfe die rote Karte, sich an die Spielregeln zu halten. Leider hielten sich Krebszellen im Körper nicht an die Regeln. „Wir haben leider im Moment oft nicht den Schiedsrichter oder die malignen Zellen haben gelernt, sich zu tarnen und reagieren nicht auf unsere roten Karten.“
Sein Appell: „Wir wollen in diesem Jahr auf dem Vision Zero Kongress gemeinsam Visionen entwickeln, wie wir dem Krebs die rote Karte zeigen können.“ Die Zeit sei reif für dieses Handeln. „Wir wissen, dass jeder zweite Mensch an Krebs erkrankt und jeder vierte stirbt daran. Wir verwenden für das gesamte Thema Krebs nur ein Fünftel der Gesundheitsaufwendungen; für etwas, das ein Viertel von uns umbringt, das wollen wir ändern!“
Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung und Vorsitzender des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs, hielt auf dem Kongress die Grußbotschaft: „Vision Zero – einer der Unterstützer der ersten Stunde – und viele weiteren Expertinnen und Experten, die heute auf diesem Symposium sprechen, sind Bestandteil der Nationalen Dekade gegen Krebs. Wir haben hier ganz eindeutig auf die richtigen Köpfe und Institutionen gesetzt.“
Er verwies darauf, dass in einem Jahr, dass so stark von der Corona-Pandemie geprägt gewesen sei, die Konferenz ein wichtiges Zeichen setze: „Krebs und seine Folgen sind nicht vergessen!“ Weiter hob er hervor: „Diese besondere Zeit hat aber auch deutlich hervorgebracht, wie wichtig Forschung ist und was sie leisten kann.“ Daher sei das BMBF 2019 mit dem Start der bundesweiten Forschungsinitiative Nationale Dekade gegen Krebs in die Offensive gegangen und habe bereits die rote Karte gezückt.
„Es ist uns, gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und meinem Ko-Vorsitzenden im Strategiekreis der Dekade, Herrn Prof. Baumann, gelungen, die zentralen Kräfte in Deutschland für eine wirkungsvolle Krebsforschung zu mobilisieren und die weitere Vernetzung von Forschung und Versorgung aktiv anzustoßen.“
Klinische Forschung in Deutschland
Den Impulsvortrag zum Thema klinische Forschung in Deutschland hielt Michael Hallek, internistischer Onkologe, Direktor des Centrums Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf und Strategiekreismitglied der Nationalen Dekade gegen Krebs (NDK). Er betonte die Bedeutung der klinischen Forschung.
Sein Appell: „Es braucht weiterhin Förderprogramme für unabhängige akademische klinische Forschung, das Ansehen klinischer Forschung im akademischen Leben sollte erhöht werden.“ Weiter betonte er, es müsse mehr Austausch über die Sektorengrenzen hinweg stattfinden und die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. Letzteres wurde von Vortragenden der Industrie in ihren Beiträgen später bestätigt. Hallek sieht zudem die Notwendigkeit, Allianzen zwischen Medizin, Naturwissenschaften und Informatik zu schmieden, um Fortschritte im Datentransfer zu erzielen.
Gesellschaft und Patientinnen und Patienten müssten mehr eingebunden werden für einen weiteren kontinuierlichen Vertrauensaufbau und das Bewusstsein, dass klinische Forschung deren Anliegen verfolge. Er rief zu einer Kultur wie in angelsächsischen Ländern auf, die engere Kooperationen zwischen Industrie und akademischer Grundlagenforschung befördere.
Beteiligung von Betroffenen in der klinischen Forschung
Rudolf Hauke, der den ersten in Deutschland gegründeten Patientenbeirat in der Krebsforschung in Deutschland beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) leitet, wies bezüglich der Patienteneinbindung in der Forschung darauf hin, dass „oft noch das Verständnis und Mindset, dass Patienten Kunden sind, dass unsere Erfahrungen enormen Nutzen bringen können“, fehle. In der Auto- oder Spieleindustrie sei es z.B. unvorstellbar, dass Forschung ohne den Kunden stattfinde. Patientinnen und Patienten hätten eine spezifische Sicht auf z.B. Nutzenabwägung und das Thema Lebensqualität und könnten u.a. in Bezug auf relevante Endpunkte und Lebensqualität mit ihrer Sichtweise helfen. Auch könnten sie Ein- und Ausschlusskriterien aus der realen Welt einbringen und die Mobilitätsaspekte der Probanden besser einschätzen. Er lobte die Nationale Dekade gegen Krebs, die die Wichtigkeit der Beteiligung von Patientinnen und Patienten erkannt und zu einem wichtigen Ziel gemacht habe.
Session Onko-Pipeline
Im weiteren Verlauf des Symposiums präsentierten diverse Industrieunternehmen, woran sie gerade forschen. Die wichtigste Rolle spielten aktuelle Entwicklungen in der Immunonkologie, zudem der Forschungsstand bei Zell- und Gentherapien sowie molekular-zielgerichtete Therapien.
Auch der Einsatz von maschinellem Lernen bei der Medikamentenentwicklung und Nutzung multimodaler Daten wird derzeit verstärkt erforscht. Künstliche Intelligenz ermöglicht die Analyse komplexer und großer Datenmengen, wie sie beispielsweise in der Bildgebung später Krankheitsstadien vorlägen.
Hagen Pfundner, Vorstand von Roche und Strategiekreismitglied der NDK hob hervor, dass die Herausforderungen nur durch gemeinsame Anstrengungen erreichbar seien.
Jeden vermeidbaren Todesfall verhindern: auch ein Ziel der Dekade gegen Krebs
Viele Akteure der Nationalen Dekade gegen Krebs kamen im Verlauf des zweitägigen Kongresses zu Wort:
Rote Karte dem Darmkrebs
Das Lead-In in die Themensessions am zweiten Kongresstag gab Christa Maar von der Felix Burda Stiftung und Strategiekreismitglied sowie gemeinsam mit Prof. Brenner Themenpatin für Prävention der NDK. Sie ist zugleich Präsidentin des Veranstalters Netzwerk gegen Darmkrebs und mahnte, dass weniger als 20 Prozent der Deutschen am immunologischen Stuhltest teilnehmen.
Hermann Brenner vom DKFZ stellte die im Rahmen der Dekade gegen Krebs geförderte Konzeptphase der praxisverändernde Studie NETZ zur Evaluierung der Darmkrebsvorsorge mittels verschluckbarer Minikamera vor, einer Methode, die die Teilnahmerate erheblich verbessern könnte.
Projekt Lightspeed
Özlem Türeci, Vorständin des Spitzenclusters für individualisierte Immunintervention Ci3 und ebenso Strategiekreismitglied der NDK, forscht seit langem an mRNA-Vakzinen gegen Krebs, die die Basis für die schnelle Entwicklung eines Corona-Impfstoffes durch die von ihr mitgegründete Firma BioNTech waren. Türeci berichtete von den einzelnen Schritten, die für diesen Erfolg nötig waren.
Nach der Entwicklung des Corona-Impfstoffes wird sie sich wieder Impfungen gegen Krebs und damit der Vision Zero zuwenden. Bei therapeutischen Impfungen gegen bestehende Tumore sei die Herausforderung zwar sehr viel höher als bei der Prävention einer respiratorischen Viruserkrankung. Die Erkenntnisse aus der Entwicklung des Corona-Impfstoffes würden hierbei jedoch nützlich sein und einfließen. Sie sieht insbesondere Kooperationen als wichtig an, auf nationaler Ebene hob sie die Wichtigkeit einer Zusammenarbeit über die public-private-Grenze hinweg hervor, wenn es um die Entwicklung von Krebsimpfstoffen geht.
In den letzten 16 Monaten habe sich gezeigt: „Egal wie unscheinbar wissenschaftliche Erkenntnisse sind, sie haben das Zeug dazu, große Probleme zu lösen.“ Sie sei sich sicher: „Es ist wichtig, Innovation zu fördern und zwar frühzeitig.“ Denn wichtig seien die 20 Jahre davor gewesen, in denen die Welt investiert habe, die Technologie überhaupt so weit zu bringen und zu translatieren.
„Die Innovation kommt immer, ausschließlich – nach meiner Erfahrung – aus dem akademisch-wissenschaftlichen Bereich. Wir brauchen aber auch den privaten Sektor, nämlich Biopharmazeutische und Biotech-Unternehmen und das Zusammenspiel mit Public Akteuren (mit Regulatoren, Policy Makers, mit denen am Point of care)“, so Türeci abschließend.
Dekade gegen Krebs – State of the art
Wolfgang Knauf vom Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) und Prof. Michael Baumann vom DKFZ, beides Mitglieder des Strategiekreises der NDK, stellten hiernach die Nationale Dekade gegen Krebs vor. Knauf lobte das breitgefächerte Portfolio der NDK, als gemeinsames Forum, das sich der Idee gewidmet hat, die Krebsforschung zu verbessern, die Anwendung der Forschung zu befördern und das Ganze einmünden zu lassen in eine bessere Versorgung und Früherkennung.
Michael Baumann bezeichnete die einmalige Herangehensweise der Dekade gegen Krebs als Tenor-setzend: „Es geht darum, große Herausforderungen anzugehen.“ Die Dekade habe durch dieses neue Format eine Aufbruchsstimmung erzielen können. Er präsentierte die Erfolge der ersten beiden Jahre der Dekade, die trotz der Pandemie aktiv vorangebracht werden konnte.
Betroffene gefragt
Die Darmkrebspatientin Claudia Liane Neumann stellte im Anschluss die Ergebnisse des Patientenworkshops des Vortags vor:
Die Befragung nach den wichtigsten Kriterien der Versorgung zeigte, dass die Einhaltung und Optimierung von Standards, ihre Personalisierung sowie eine gute Leitung durch den Weg des Gesundheitswesens für Krebspatientinnen und -patienten einen besonders hohen Stellenwert haben. Auch das Nebenwirkungsmanagement hat eine hohe Priorität.
Nach dem derzeitigen Status Quo befragt, sehen sie allerdings nur 18 Prozent der Kriterien aktuell in der Realität als erfüllt an.
Strukturverbesserungen und Zusammenarbeit sind der Schlüssel
Zum Abschluss kamen noch einmal Teilnehmende in einer Diskussionsrunde mit Eckhard von Hirschhausen zusammen.
Fazit von Michael Hallek: Wenn die Ziele der Vision Zero umgesetzt werden sollen, brauche es Mut, die klinische Forschung in Deutschland weiter zu unterstützen, eine Überprüfung der Effizienz der Strukturen im solidarisch organisierten Vor- und Fürsorgesystem und dies bedürfe gemeinsamer Anstrengungen Aller – der Forschenden, der Patientinnen und Patienten, der Pflegenden, der Industrie und der Politik.