Praxisverändernde Studie prüft Notwendigkeit von OP bei Speiseröhrenkrebs
Speiseröhrenkrebs ist eine Krebsart, die durch Alkohol begünstigt wird. Der Risikofaktor Alkohol ist dieses Jahr Schwerpunktthema der Krebspräventionswoche. Eine Studie im Rahmen der Dekade gegen Krebs soll zur Verbesserung der Lebensqualität Betroffener beitragen.
An Krebs der Speiseröhre (Ösophagus) erkrankten im Jahr 2018 laut Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut 1.840 Frauen und 5.710 Männer. Bei Speiseröhrenkrebs unterscheidet man das häufigere Plattenepithelkarzinom vom etwas selteneren Adenokarzinom.
Zu den wichtigsten Risikofaktoren für das Plattenepithelkarzinom in der Speiseröhre zählen Tabak- und Alkoholkonsum. Mit zunehmender Menge des täglich getrunkenen Alkohols steigt das Krebsrisiko. Kommen Tabak und Alkohol zusammen, verstärkt sich der schädliche Effekt. Adenokarzinome entstehen häufig auf der Basis einer gastroösophagealen Refluxerkrankung (anhaltender Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre, chronisches Sodbrennen). Das führt zu Schleimhautveränderungen im unteren Teil der Speiseröhre: Es entsteht ein so genannter Barrett-Ösophagus, der als Krebsvorstufe gilt. Weitere wichtige Risikofaktoren sind Übergewicht und Rauchen.
Von 100 betroffenen Frauen leben fünf Jahre nach der Diagnose noch 24, von 100 Männern sind es sogar nur 22. Damit ist Speiseröhrenkrebs eine Krebsart mit ungünstigen Überlebensaussichten.
Die Behandlung und die Prognose ist vom jeweiligen Tumorstadium abhängig. Wird der Tumor in einem frühen Stadium entdeckt, wird in erster Linie operiert. Allerdings liegt nur bei jedem dritten Tumor zur Diagnosestellung noch ein frühes Stadium vor. Das liegt u.a. an den unspezifischen Symptomen, die oft nicht ernst genug genommen werden. Typisch sind beispielsweise Schluckbeschwerden und Gewichtsverlust.
Meist ist der Tumor bei Diagnosestellung dann bereits fortgeschritten. Ist er noch nicht metastasiert, wird zunächst unterstützend mit einer kombinierten Chemo-Strahlentherapie oder allein mit einer Chemotherapie vorbehandelt (neoadjuvante Behandlung). Dann kann in vielen Fällen noch kurativ operiert werden. Die Vorbehandlung verbessert die Heilungschancen der Betroffenen im Vergleich zur herkömmlichen alleinigen chirurgischen Behandlung signifikant.
Einschränkungen der Lebensqualität nach OP
Eine Operation im Bereich der Speiseröhre führt jedoch bei den Betroffenen häufig zu Problemen wie Gewichtsverlust, Rückfluss von Magensäure in den Hals, Verdauungsbeschwerden oder Schluckstörungen. Das schmälert die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten erheblich.
Forschende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck und der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sehen hier Verbesserungspotential für die Betroffenen. Sie wollen in ESORES prüfen, ob und bei welchen Patientinnen und Patienten nach gutem Ansprechen auf die (Radio-)Chemotherapie auf eine nachfolgende Operation womöglich verzichtet werden kann.
Verbesserungspotential
Hintergrund: Durch die Verbesserung neoadjuvanter Therapien sind heute bei 16 bis 49 Prozent der Patientinnen und Patienten nach der (Radio-)Chemotherapie keine lebenden Tumorzellen mehr im herausoperierten Gewebe nachweisbar. Das eröffnet die Möglichkeit, diejenigen Betroffenen zu identifizieren, die auf die Vorbehandlung besonders gut ansprechen (Komplett-Responder) und ihnen potenziell unnötige und ggf. sogar schädliche Operationen zu ersparen.
Denn der bislang grundsätzlich durchgeführte operative Eingriff, bei dem nach der neoadjuvanten Therapie noch ein Teil der Speiseröhre entfernt wird, führt bei sechs bis 11 Prozent der Patientinnen und Patienten zum Versterben und 60 bis 80 Prozent erleiden eine Komplikation. Darunter weniger schwere wie eine Wundheilungsstörung, möglich sind aber auch schwere wie eine Lungenentzündung oder -embolie.
Operation, falls nötig
Die Studie will daher prüfen, ob bei Erkrankten, deren Tumor sich nach (Radio-)Chemotherapie erfolgreich zurückgebildet hat, ohne Nachteile eine watch-and-wait-Strategie angewandt werden kann. Dafür wird eine Gruppe von Patientinnen und Patienten nicht von vornherein mit einer belastenden Therapie nachbehandelt, sondern die Entwicklung des Tumors zunächst engmaschig beobachtet. Nur bei lokal weiter bestehendem Tumor oder lokal zurückkehrendem Tumor werden die Betroffenen operiert. Dieses Herangehen wird mit der Standardbehandlung (neoadjuvante Therapie und Operation danach in jedem Fall) verglichen, das die Kontrollgruppe der Studie erhält.
Wichtigste Erkenntnis der Studie wird sein, ob bei der Gruppe mit der watch-and-wait-Strategie der Verzicht auf eine Operation das onkologische Ergebnis wie Rückfallraten oder die Überlebenszeit beeinträchtigt.
Ein Ziel der Dekade gegen Krebs ist der verstärkte Einbezug von Betroffenen in die Forschung. Daher werden die Sichtweisen und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in einer vorgeschalteten Pilotstudie explizit erfragt und in die Planung und Durchführung der Hauptstudie einbezogen.
Die Förderung der Studie ist zweistufig.
1. Stufe: Konzeptentwicklungsphase (abgeschlossen)
1. Organisatorische Planung der Studie: Information der zuständigen Gremien der medizinischen Fachgesellschaften der beteiligten medizinischen Disziplinen über das Studienvorhaben, um eine breite multidisziplinäre Unterstützung zu erreichen.
Die Rekrutierung der teilnehmenden Zentren sowie Planung und Abschätzung der erwarteten Patientenrekrutierung sowie das Vorbereiten und Schreiben des endgültigen Antrags auf Förderung für Pilot- und Hauptstudie
2. Die Erhebung des aktuellen Forschungsstands zu dem Thema durch Literaturrecherche und -analyse bereits veröffentlichter, unveröffentlichter und laufender Studien oder entsprechender Reviews zur Fragestellung der Studie (Scoping Review).
3. Die Vorbereitung der Pilotstudie, die die Wünsche, Bedürfnisse und Präferenzen der Betroffenen ermitteln soll. Dazu wird ein Fragebogen für ein Patienteninterview entwickelt. Zudem soll erhoben werden, wie Patientinnen und Patienten am besten informiert werden können, um ihnen eine aktive Beteiligung an der Behandlungsentscheidung zu ermöglichen. Die Forschenden erwarten, dass der Informationsprozess auch wesentlich für den Rekrutierungsprozess sein und die Zustimmung der Probandinnen und Probanden zur zufälligen Zuteilung zu einer Studiengruppe verbessern wird.
2. Stufe: Weiterförderung
Über die Weiterförderung im Rahmen der Dekade wurde nach Sichtung des in Phase eins erstellten Studienkonzeptes positiv beschieden. Ab Juni 2022 beginnt die Studie zu laufen und erhält hierfür die weitergehende Förderung für die eigentliche Studienphase.