Hirntumore bei Kindern – Herausforderung für die Krebsforschung
Im Juni 2022 informierten Experten über den aktuellen Stand der Hirntumorforschung bei Kindern. Gastgeber war das Forschungsinstitut Kinderkrebs-Zentrum Hamburg, ein Unterstützer der Nationalen Dekade gegen Krebs.
In Ländern wie Deutschland werden inzwischen zwei Drittel der Kinder mit einem Hirntumor geheilt. Um Therapieoptionen für das verbleibende Drittel der Betroffenen zu ermöglichen, forscht die Wissenschaft mit Nachdruck. Doch auch bei geheilten Kindern kommt es in Folge der Erkrankung sowie der Therapie oftmals zu Einschränkungen im späteren Lebensalter. Über diese Herausforderungen diskutierten Expertinnen und Experten im Forschungsinstitut Kinderkrebs-Zentrum Hamburg.
Ärztinnen und Ärzte müssen sich bislang zwischen zwei Extremen bewegen: einerseits soll das Rückfallrisiko durch die Therapie bestmöglich gemindert werden, andererseits soll die Behandlung so wenig aggressiv wie möglich sein, um Spätfolgen zu verhindern. „Leider stehen sich diese beiden Ziele manchmal diametral gegenüber“, sagt Prof. Dr. med. Stefan Rutkowski, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Medizinerinnen und Mediziner wägen hier sorgfältig und gemeinsam mit den Eltern die Optionen unter Einbezug der Lebensqualität ab. Um das bestmögliche Vorgehen zu ermitteln, bedarf es valider Studien mit ausreichend hohen Fallzahlen. Dafür fordert der Onkologe eine konsequente Erfassung der Spätfolgen der behandelten Kinder in allen klinischen Studien.
Behandlung im Rahmen von Studien
Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit einem Hirntumor wird heute im Rahmen klinischer Studien behandelt. Das soll, so die Expertenmeinung, für alle betroffenen Kinder in Betracht gezogen werden.
Nur wenige Hirntumore gleichen sich biologisch – pro Diagnose gibt es oft nur wenige Patienten. Daher ist für eine aussagekräftige Forschung die Vernetzung von Daten so wichtig. Die genetischen und molekularen Unterschiede jedes Tumors sollten analysiert werden. Daraus ergeben sich auch Optionen (vor allem zielgerichtete und immuntherapeutische) für neue Therapieformen. Hiervon müssten dringend weitere für Kinder entwickelt werden, so Prof. Rutkowski: Denn „die aggressivsten, bisher nicht heilbaren Erkrankungen werden mit der Optimierung von herkömmlichen Therapien nicht erreicht werden.“
Der Onkologe berichtet vom deutschen Behandlungsnetzwerk HIT. Es erfasst Daten von weit über 90 Prozent der erkrankten Kinder und Jugendlichen. Das ermöglicht Begleitforschung und bildet die Grundlage für die Wahl der bestmöglichen Therapie. Das flächendeckende HIT-Netzwerk sei im weltweiten Kontext einzigartig und arbeite auch mit anderen europäischen Ländern zusammen.
Insbesondere bestehe ein hoher Bedarf für präklinische Forschung, also Grundlagenforschung, auf der die Medikamentenentwicklung beruht. Aktuell starte eine europäische Studie zur Prüfung von zielgerichteten Therapien für Kinder mit Hochrisiko-Medulloblastom, in der ein sogenanntes „Window“ eröffnet wurde – ein Fenster, das es ermöglicht, bei Neuentdeckung eines Wirkstoffs diesen auch Kindern schnell anbieten zu können, ohne wieder eine neue Studie aufsetzen zu müssen.
Liquid Biopsy bei Hirntumoren
Sein Kollege Prof. Ulrich Schüller am Forschungsinstitut Kinderkrebs-Zentrum Hamburg beschäftigt sich mit der experimentellen Erforschung kindlicher Hirntumore. Sein Forschungsgebiet bedient sich moderner Diagnosemethoden und deckt veränderte Signalwege (die Wachstumsmechanismen der Krebszellen) und Genveränderungen auf, die bei Krebs vorliegen.
Im Rahmen der Hirntumordiagnostik wird z. B. Hirnwasser (Liquor) aus dem Rückenmark Betroffener entnommen und auf Anzeichen von Krebs untersucht wird. Finden sich Tumorzellen, deutet das auf schlechtes Therapieansprechen oder einen Rückfall hin. Forschende bedienten sich hierfür lange des Mikroskops. Doch zu oft wächst der Krebs weiter, obwohl sich im Vorfeld keine Krebszellen im Liquor entdecken lassen. Zudem lässt sich so nicht sicher sagen, welche Tumorart vorliegt und auch eine Einteilung in molekulare Subgruppen ist nicht möglich.
Genaue Diagnose und Therapieoptimierung durch Tumor-DNA
Schüller und sein Team untersuchen nun eine neue Herangehensweise: Sie wollen im Liquor geringste Mengen an Tumor-DNA nachweisen, die mittels Sequenzierung analysiert werden kann. „Tatsächlich ist es uns mitunter möglich, hier eine exakte molekulare Charakterisierung vorzunehmen“, berichtet der Forscher.
In einem separaten Projekt wollen sie zudem testen, ob zielgerichtete Substanzen, die bei Kindern in der üblichen Dosierung wegen inakzeptabler Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden können, unter Umständen in geringerer Dosis direkt in das Gehirnwasser appliziert werden können. Dann wäre der Tumor womöglich genauso effektiv zu treffen, aber die Toxizität und damit die Nebenwirkungen deutlich verringert.
Prinzipien und Hürden der Translation
Zum Abschluss berichtet Prof. Milde, Gruppenleiter „Translationale Hirntumormodelle“ am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) von der Übersetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem Labor in die Klinik. Er ist sowohl in der präklinischen als auch in der klinischen Forschung tätig, also an der Schnittstelle zwischen Forschung und erster Anwendung am Menschen. Milde bekräftigt, dass bei den Heilungserfolgen ein Plateau erreicht sei, für die letzten 20 Prozent brauche es neue Therapieansätze. Insbesondere bei Rückfällen fehle es an Möglichkeiten, noch heilend einzugreifen.
Milde betont: „Um neue Therapieansätze erfolgreich zu den Patienten zu bringen, brauchen wir zum einen die bauliche und personelle Integration von Forschung und Klinik. Zum anderen ist aber auch die Etablierung und Förderung von explizit translationalen Strukturen in der Präklinik sowie in der klinischen Versorgung absolut notwendig.“