Individuelle Behandlung durch Datenanalyse
Ein bayerisches Forschungsteam will Informationen nutzen, die medizinische Daten aus Untersuchungen von Kopf-Hals-Tumoren enthalten. Um die lebensbedrohliche Erkrankung besser vorhersagen und therapieren zu können.
„Trotz aller Bemühungen der modernen Onkologie ist die Prognose von Kopf-Hals-Krebs nach wie vor schlecht. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt lediglich bei 40 bis 50 Prozent“, sagt Andreas Kist, Professor für Künstliche Intelligenz an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Deshalb hat er gemeinsam mit Antoniu-Oreste Gostian, Oberarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, und Markus Eckstein vom Pathologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen das Verbundprojekt „HANCOCK“ ins Leben gerufen. Gemeinsam wollen sie einen umfassenden, öffentlich zugänglichen Datensatz erstellen, der auch unstrukturierte und bisher ungenutzte Informationen aus vorhandenen Daten nutzbar macht. Ihr Ziel ist es, die Erforschung und Therapie von Kopf-Hals-Tumoren auf ein neues Level zu bringen.
Wertvolle Patientendaten als Basis
Für die Entwicklung ihrer Algorithmen können die Forschenden eine wertvolle Basis nutzen: anonymisierte Daten von rund 800 Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Tumorerkrankungen, die seit den frühen 2000er-Jahren in der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Erlangen behandelt wurden. Zu diesen Daten gehören Berichte mit demografischen und klinischen Informationen, Daten aus Blutproben und gefärbte Tumorgewebeproben für spezifische Gewebeanalysen. In einem ersten Schritt wollen die Expertinnen und Experten relevante Informationen aus den vorhandenen Bilddateien kennzeichnen, damit Computerprogramme diese verstehen und daraus lernen, also bestimmte Schlüsse ziehen können. Außerdem werden die Daten in Formate konvertiert, die gängige Open-Source-Programme verarbeiten können, damit sie frei zugänglich und nutzbar sind.
Klartext für klinische Berichte
Um ärztliche Entscheidungen zu unterstützen, gehören selbstlernende Algorithmen, die Ergebnisse bildgebender Verfahren oder Laborwerte analysieren, bereits zum medizinischen Alltag. „Es gibt jedoch Informationen, die deutlich schwerer auszuwerten sind“, meint Andreas Kist. „Ein Beispiel dafür sind Arztbriefe und andere Freitexte in klinischen Dokumentationen.“ Deshalb ist die Verwertung der klinischen Berichte eine der größten Herausforderungen des Projektes. Die Forschenden wollen diese als Klartexte speichern. Zugleich entwickeln sie Algorithmen, die wichtige Details in den Texten erkennen und für vergleichende Analysen nutzbar machen sollen. Dazu gehören Begleitumstände der Krankheit, wie zum Beispiel familiäre Vorbelastungen. „Ein Abgleich dieser unstrukturierten Informationen etwa mit Tumorschnitten oder Blutwerten könnte der Krebsforschung neue Impulse geben“, so der KI-Experte.
Digitaler Patienten-Zwilling
Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen aber auch individuellere Behandlungen: „Stellen Sie sich vor, Sie können aus den verschiedenen Patientendaten – von Laborwerten und histologischen Bildern über Therapieverläufe und Überlebensraten bis hin zu Alter, Lebensgewohnheiten, familiärem Hintergrund und Vorerkrankungen – belastbare Muster ableiten. Dann erhalten Sie für künftige Patientinnen und Patienten eine Art digitalen Zwilling, der für personalisierte Behandlungspläne herangezogen werden könnte“, sagt Andreas Kist. Eine Methode, die für Therapien anderer Krebserkrankungen ebenfalls von Nutzen sein kann und für die das „HANCOCK“-Team wichtige Weichen stellen will.
Das Projekt „HANCOCK“ wird im Rahmen der Richtlinie zur Förderung von interdisziplinären Projekten zur Entwicklung und Erprobung von neuen Ansätzen der Datenanalyse und des Datenteilens in der Krebsforschung in der Nationalen Dekade gegen Krebs vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.