Vernetzte Daten für bessere Therapieentscheidungen
Das Projekt PM4Onco soll eine langfristige Infrastruktur schaffen, um Daten aus Forschung und Versorgung zu integrieren, sie mithilfe von Software auszuwerten und zu interpretieren. Das hilft, die personalisierte Krebstherapie in der Praxis zu etablieren.
PM4Onco steht für „Personalisierte Medizin für die Onkologie“ — so nennt man Neue Therapien gegen Krebs, die den Krebs gezielt an seinen individuellen Eigenschaften angreifen. Als Voraussetzung werden umfassende Informationen über den Krebs und die Betroffenen sowie der aktuelle Wissensstand aus der Forschung benötigt.
Diese Daten sollen künftig besser zu den onkologischen Zentren gelangen, an denen personalisierte Behandlung vorwiegend stattfindet. Dazu beabsichtigen Forschende um die Systemmedizinerin Professorin Melanie Börries, im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII) eine Daten-Infrastruktur zu schaffen. Das Ziel ist es, Daten aus den verschiedenen Quellen zusammenzuführen, zu harmonisieren, zu analysieren und zugleich in geeigneter Form für Therapieentscheidungen der Ärztinnen und Ärzte im Molekularen Tumorboard unterstützend aufzubereiten.
Das Molekulare Tumorboard ist der Ort, an dem eine interdisziplinäre Runde ärztlicher und nicht-ärztlicher Fachleute alle vorliegenden Informationen zum Betroffenen und seinem Tumor besprechen und am Ende eine individuelle Empfehlung für die bestmögliche Therapie abgeben.
Wichtige Daten für die Entscheidungsfindung vernetzen
Die benötigten klinischen und biomedizinischen Daten liegen bislang entlang des Behandlungsweges in verschiedenen Systemen (Kliniken, radiologische, onkologische oder hausärztliche Praxen; Krankenkassen), meist in unterschiedlichen Formaten. Das macht es schwer, sie für die personalisierte Behandlung zu nutzen.
PM4Onco will nun 23 onkologische Zentren langfristig mit den maßgeblichen medizinischen Einrichtungen ihrer Region vernetzen. Dabei verbleiben die Daten an ihren aktuellen Speicherorten und werden nur digital integriert.
Vorarbeiten im MIRACUM-Konsortium
Das Projekt nutzt zum einen neue und zum anderen bereits vorhandene Infrastrukturen, Standards und Analysetools weiter. Es fließen die Erfahrung und Vorarbeiten aller vier Konsortien der Medizininformatik-Initiative und der onkologischen Exzellenzzentren in Deutschland ein.
Wichtige Basis bildet eine Analyse-Pipeline, die in der Aufbau- und Vernetzungsphase der MII im Konsortium MIRACUM entstanden ist. In diese MIRACUM-Pipe lassen sich patienten- und krebsbezogene Daten eines Falles einspeisen, ebenso wissenschaftliche Literatur, verfügbare klinische Studien und Datenbanken. Die Ergebnisse werden als interaktiver PDF-Bericht erfasst und zugleich in der erweiterten Open-Source-Software „cBioPortal“ visuell dargestellt. Das cBioPortal ermöglicht auch die Anzeige passender zielgerichteter Medikamente, zugeschnitten auf die genetischen Eigenschaften des Tumors (siehe Infobox), inklusive des jeweils zu erwartenden Wirkpotenzials. Um dem Tumorboard auf einen Blick die Zulassung und Verfügbarkeit der Medikamente in der EU darzustellen, wurde eine Datenbank konstruiert, die dies zusammenfasst und mit einfachen Symbolen in cBioPortal ergänzt.
Ausbau der MIRACUM-Pipe
Die Erweiterung der Pipe findet in Form eines Baukastensystems statt. Das macht eine schnelle Anpassung an aktuelle Entwicklungen möglich, beispielsweise wenn es neue Datenbanken oder neue Diagnose-Techniken gibt bzw. weitere Krebseigenschaften in den Vordergrund treten.
PM4Onco wird auch die Datengrundlage der Pipe weiter verbessern und erweitern. Die Basis der Datendokumentation bildet der Kerndatensatz der MII, auf den sich alle vier Konsortien und somit alle universitätsmedizinischen Standorte geeinigt haben. Dieser beruht auf internationalen IT- und Terminologie-Standards und besteht aus Basis- und Erweiterungsmodulen.
„Wir wollen zu den bisherigen Erweiterungsmodulen Onkologie oder molekular-genetischer Befund in den Kerndatensätzen noch die Module Personalisierte Onkologie und Molekulares Tumorboard ergänzen“, sagt Professorin Börries, die auch bioinformatisch tätig ist. Die Forschenden wollen zudem einen Terminologie-Standard für molekulare und genetische oder auch klinische Bezeichnungen erarbeiten. Auch andere, bereits vorliegende Datensätze, die einen Mehrwert generieren, z.B. aus den Standorten des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT), den Comprehensive Cancer Centern (CCC) oder den Zentren personalisierter Medizin (ZPM), sollen mit eingebunden werden.
Lernen durch Datenrückschau vereinfachen
So wollen Börries und ihre Mitstreitenden zukünftig auch Follow-up-Daten mit einbeziehen, also die Rückmeldung aus anderen Kliniken, Praxen und den Krebsregistern sowie von Betroffenen, um die Datenqualität durch standardisierte Dokumentationsroutinen zu steigern.
Das kann man aus Follow-up-Daten lernen
Die personalisierte Krebsmedizin nutzt meist Medikamente außerhalb ihrer Zulassung. Hier muss nachträglich besonders gut überprüft werden: Hat das Medikament die erhoffte Wirkung erzielt? Wie ging es den Betroffenen während und nach der Behandlung?
Die rückblickende Analyse möglichst vieler solcher Aufzeichnungen gibt zudem Hinweise auf spezifische und wiederkehrende Abläufe bzw. Ansprechen in Krebszellen. Das hilft, langfristig mögliche Therapieansätze in die klinische Regelversorgung zu überführen.
PM4Onco will den Rücklauf der Follow-up-Daten standardisieren. Dafür arbeitet das Projekt eng mit der Plattform „§ 65c“ zusammen, einem deutschlandweiten Expertengremium, das den Austausch der Krebsregisterdaten gewährleistet. Ihre Expertise wird zudem helfen, die Daten aus den Krebsregistern strukturiert zu erhalten und somit sowohl für Analysen für das Tumorboard als auch für neue Biomarker für z.B. Therapieansprechen und Therapieresistenz zu nutzen.
„Die MIRACUM-Software Tools und die zukünftigen PM4Onco-Tools werden die Arbeit des Tumorboards und der personalisierten Medizin erheblich erleichtern“, ist sich Professorin Börries sicher.
Patientenbedürfnisse mitdenken, Nachwuchs fördern
Wie bei allen Projekten der Dekade gegen Krebs sind Patientenvertreterinnen und -vertreter von Anfang an dabei, damit die Bedürfnisse von Betroffenen mitgedacht werden. Im Projekt wird es u.a. Rückmeldungen aus Fragebögen zur Lebensqualität und dem Behandlungserfolg aus Sicht der Patientinnen und Patienten geben, was derzeit außerhalb klinischer Studien kaum erfasst wird. PM4Onco wird regelmäßige Workshops für Patientinnen und Patienten sowie Interessierte veranstalten.
Auch wissenschaftlicher Nachwuchs soll trainiert und gefördert werden; in der MII etablierte Nachwuchsgruppen können sich in PM4Onco über die Standorte hinweg untereinander vernetzen. Einmal im Jahr wird ein Workshop stattfinden, in dem sie sich darüber austauschen, wie sie zukünftig miteinander arbeiten und sich nach außen präsentieren möchten. Denn, das weiß die Forscherin und Ärztin: „Vernetzung und die Beteiligung Betroffener sind das A und O für die Zukunft der Krebsmedizin!“