Navigation und Service

„70 Prozent der Risikofaktoren für Darmkrebs sind ernährungsbedingt.“

Stefanie Derer-Petersen erforscht, wie sich wiederauftretende Darmtumoren früher erkennen oder verhindern lassen. Was sie an der Darmkrebsforschung fasziniert und welche Rolle die Ernährung bei der Krebsprävention spielt, berichtet sie im Interview.

Stefanie Derer-Petersen erforscht, wie sich wiederauftretende Darmtumoren früher erkennen oder verhindern lassen. Was sie an der Darmkrebsforschung fasziniert und welche Rolle die Ernährung bei der Krebsprävention spielt, berichtet sie im Interview.

Frau Prof. Dr. Derer-Petersen, es gibt viele Mythen beim Thema Ernährung: Was wissen wir wirklich über die Rolle der Ernährung bei der Entstehung von (Darm-)Krebserkrankungen?

Wir verstehen immer besser, wie bestimmte Ernährungsstile nicht nur zu Entzündungsreaktionen führen, sondern besonders in den Darmzellen DNA-Schäden verursachen und somit direkt die Krebsentstehung fördern können. Insgesamt gehen wir davon aus, dass ca. 40 bis 50 Prozent der Krebserkrankungen durch einen gesunden Lebensstil – Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung – vermeidbar wären. Besonders im Fall des Darmkrebses wissen wir, dass neben dem Geschlecht und der genetischen Veranlagung etwa 70 Prozent der Risikofaktoren ernährungsbedingt sind. Hier weisen die Daten darauf hin, dass ein häufiger Verzehr von verarbeiteten Fleischprodukten (wie zum Beispiel gepökelte Wurstwaren) in Kombination mit einer kalorienreichen Ernährung, tierischen Fetten und einfachen Kohlenhydraten (wie etwa Zucker, Stärke, Fruktose) mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko einhergeht.

Sie sind Projektleiterin des durch die Nationale Dekade gegen Krebs geförderten Forschungsverbunds „OUTLIVE-CRC“, in dem Möglichkeiten zur Prävention und Früherkennung von wiederauftretenden Tumoren, gerade bei jungen Darmkrebs-Betroffenen erforscht werden. Welche Ansätze verfolgen Sie dabei?

Prof. Dr. Stefanie Derer-Petersen Prof. Dr. Stefanie Derer-Petersen
Prof. Dr. Stefanie Derer-Petersen leitet die Arbeitsgruppe „Molekulare Gastroenterologie“ am Universitätsklinikum Lübeck © Stefanie Derer-Petersen

Neben steigenden Neuerkrankungen beobachten wir ein vermehrtes Wiederauftreten (Rezidiv) der Erkrankung nach Erstbehandlung bei jungen Erwachsenen. Deswegen ist es unser übergeordnetes Ziel, eine Tertiärpräventionsstrategie einzuführen, um ein Darmkrebsrezidiv in einem frühen Stadium zu erkennen oder im besten Falle Personen mit erhöhtem Risiko für ein Rezidiv zu identifizieren. Hierzu möchten wir einen Flüssigbiopsie-basierten Bluttest entwickeln, der uns Biomarker im Blut erkennen lässt. Die Basis dafür sind molekular- und zellbiologische Eigenschaften individueller, patienten-abgeleiteter 3D-Organoid-Kulturen im Labor, dem sogenannten „Darm im Reagenzglas“, die wir mit Biomarker-Analysen von Blut- und Stuhlproben kombinieren. Durch solche Flüssigbiopsie-basierten Bluttests ließe sich das individuelle Risiko für wiederauftretenden Darmkrebs frühzeitig erkennen. Dieser Bluttest soll perspektivisch automatisiert und in ein zum Einsatz im Versorgungsalltag übersetzt werden, damit Patientenproben ohne Umweg ins Labor direkt am Behandlungsort analysiert werden können.  Zusätzlich entwickeln wir auf Grundlage dieser Daten personalisierte ernährungsmedizinische Therapiestrategien.

Wie gelingt die Kooperation in einem Forschungsverbund, an dem mehrere Forschungseinrichtungen beteiligt sind? Was fasziniert Sie an Ihrer Forschung?

Die Arbeit in einem solchen Forschungsverbund ist eine einmalige Möglichkeit, sich mit Expertinnen und Experten unterschiedlichster Disziplinen sowie Patientenvertreterinnen und -vertretern zu vernetzen. Dadurch beleuchten wir die grundlegende Fragestellung aus verschiedenen Perspektiven und verbessern somit das Ergebnis unserer eigenen Forschungsarbeit. Die Kooperation gelingt meines Erachtens am besten durch stetigen, offenen und ehrlichen Austausch aller Beteiligten – und nicht nur der Projektleiterinnen und -leiter. Am meisten fasziniert mich an meiner Forschung die direkte Anwendbarkeit unserer Erkenntnisse in der Praxis: Wir alle essen mindestens dreimal am Tag und können den Effekt unseres Ernährungsstils direkt anhand der visuellen Analyse unseres Stuhlgangs oder unserer allgemeinen Fitness ablesen. Diese Effekte auf molekularer Ebene zu erklären und neue Therapiekonzepte für die Ernährungsmedizin entwickeln zu können, fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.

Worin liegt Ihrer Meinung nach der größte Forschungsbedarf auf dem Gebiet der Darmkrebsforschung?

In meiner Arbeitsgruppe gehen wir der dringenden Frage nach, ob und – wenn ja – welche Nahrungsinhaltsstoffe nicht nur als Förderer („Promotoren“), sondern auch als Verursacher („Initiatoren“) der Darmkrebsentstehung wirken. Hierbei ist es zunächst wichtig, die Verstoffwechslung der Nahrungsbestandteile durch unsere Darmbakterien zu untersuchen. Im nächsten Schritt können wir dann verstehen, welchen Einfluss die hierbei entstandenen Stoffwechselprodukte auf die Entstehung von DNA-Schäden und somit die Funktion der Darmzellen haben.

Haben Sie Empfehlungen, wie jede und jeder ganz einfach auf die eigene Darmgesundheit achten kann?

Heute wissen wir, dass jeder Mensch individuell – zum Beispiel mit der Blutzuckerantwort – auf den Verzehr unterschiedlicher Lebensmittel reagiert. Deshalb kann man keine allgemeingültige Empfehlung aussprechen. Wir wissen jedoch, was die Darmgesundheit fördert. Das ist ein hoher Verzehr komplexer Kohlenhydrate (sogenannter Ballaststoffe) anstatt einfacher Kohlenhydrate – den man beispielsweise durch eine pflanzenbasierte Ernährung erreicht – in Kombination mit pflanzlichen Ölen und viel körperlicher Bewegung. Ein einfacher Tipp für die tägliche Anwendung ist, die Taktung, Konsistenz und Farbe des eigenen Stuhls im Blick zu behalten! Ein gesunder Stuhlgang sollte alle ein bis drei Tage erfolgen, hellbraun bis braun gefärbt sowie weder zu flüssig noch zu fest, jedoch mit klarer Form sein.

Partner und Unterstützer