5 Fragen an Olaf Ortmann
Olaf Ortmann vertritt im Strategiekreises der Dekade gegen Krebs die Deutsche Krebsgesellschaft. Er setzt sich für innovative Forschung an Krebszentren sowie eine wissensgenerierende onkologische Versorgung zum raschen Nutzen von Erkrankten ein.
Professor Olaf Ortmann ist Mitglied des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs und Vorstandsmitglied der Deutschen Krebsgesellschaft. Als Mitvorsitzender engagiert er sich in der Arbeitsgruppe „Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung“. Er setzt sich für innovative Forschung an Krebszentren sowie eine wissensgenerierende onkologische Versorgung ein, deren Ergebnisse schnell Erkrankten zugutekommen.
Herr Ortmann, die Deutsche Krebsgesellschaft ist einer der Initiatoren der Task Force, die im März von Dekaden-Partnern gebildet wurde, um die Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten während der Corona-Pandemie sicherzustellen. Wie schätzen Sie die aktuelle Versorgungslage ein und welches sind die dringendsten Fragen, denen sich die Task Force widmet?
Die drei Organisationen haben Mitte März ein gemeinsames Frühwarnsystem aufgebaut, um Veränderungen in der onkologischen Versorgung während der COVID-19-Pandemie zu beobachten. Unsere Auswertung beruht auf einer systematischen Befragung führender Krebszentren in Deutschland. Darüber hinaus gehen Patientenrückmeldungen über die Krebsinformationsdienste in die Auswertung ein. Mittlerweile liegt die Neuinfektionsrate mit dem COVID-19-Virus in Deutschland auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau und deshalb kehrt man in Kliniken und auch in Krebszentren schrittweise zur Regelversorgung zurück. Bedrohliche Versorgungsengpässe gab und gibt es nicht, bei der Nachsorge und in der Früherkennung ist das Niveau vor dem Ausbruch der Pandemie allerdings noch nicht erreicht. Patientinnen und Patienten sollten Untersuchungstermine zur Abklärung verdächtiger Symptome und eventuell verschobene Therapien unbedingt wahrnehmen.
Welchen Stellenwert haben Kooperationen von Forschungs- mit Versorgungsakteuren insbesondere in Situationen, in denen schnell gehandelt werden muss?
Die insgesamt 13 onkologischen Spitzenzentren in Deutschland verfügen über sehr gute Möglichkeiten zur Forschung an der Schnittstelle zwischen Labor und Krankenbett. Diese Forschung kann beispielsweise wichtig sein, um die Einführung einer medizinischen Innovation zu begleiten oder Registerstudien durchzuführen. Aber nur durch eine enge Zusammenarbeit mit den Krebszentren, in denen die Betroffenen üblicherweise versorgt werden, profitieren auch jene, die nicht im Einzugsgebiet eines Spitzenzentrums wohnen, von diesem Vorteil.
Sie bezeichnen die „wissensgenerierende onkologische Versorgung“ als Schlüssel zum Erfolg der Krebsforschung. Was ist damit gemeint und welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Leider gelangen neue Forschungsergebnisse derzeit oft nur schleppend in die Versorgung. Andererseits fehlt es an zielgerichteter Forschung, die uns hilft, die Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu verbessern. Das Konzept der wissensgenerierenden Versorgung setzt auf einen Prozess des fließenden Austauschs zwischen Versorgung und Forschung: Offene Fragen aus der Krebsversorgung werden von klinischen Forschern aufgegriffen und bearbeitet. Ihre veröffentlichten Forschungsergebnisse fließen zurück in die Versorgung und müssen sich dort bewähren. Damit dieser Austausch funktionieren kann, brauchen wir eine Vielzahl versorgungsnaher Daten von hoher Datenqualität. Diesen Datenschatz gilt es, mit den Mitteln der digitalen Medizin zu heben.
Was stellt aus Ihrer Sicht derzeit noch die größte Hürde dar, um Forschungsergebnisse schnell ans Krankenbett zu bringen?
Die Qualität versorgungsnaher Daten muss hoch sein. Sie sollten klinische Informationen in anonymisierter Form enthalten und einen möglichst vollständigen Überblick über eine bestimmte Indikation ermöglichen. Darüber hinaus sollten sich die Datensätze verschiedener Datenquellen miteinander verknüpfen lassen. Nicht alle verfügbaren Quellen erfüllen diese Bedingungen. Hier werden Standards benötigt. Leider setzen die herrschenden Rahmenbedingungen unnötig hohe Hürden für eine valide versorgungsnahe Forschung. Dazu gehören u.a. fehlende Standardisierung der IT-Infrastruktur in den Kliniken und uneinheitliche Vorstellungen zum Datenschutz auf Länderebene.
Wie kann es gelingen, diese Hindernisse mithilfe der Nationalen Dekade gegen Krebs abzubauen?
Die Dekade bringt Fachleute mit unterschiedlicher Expertise und aus unterschiedlichen Interessenbereichen zusammen, damit sie gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir sollten vermeiden, dass jeder gesonderte Lösungen verfolgt, und ein Konzept vorlegen, das breite Zustimmung findet und für viele Fragestellungen nutzbar ist. Durch die Beteiligung der Politik wird es hoffentlich leichter, die Hürden auf dem Weg zur wissensgenerierenden onkologischen Versorgung abzubauen.