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5 Fragen an Jan Geißler

Jan Geißler vertritt im Strategiekreis der Dekade gegen Krebs den Dekaden-Partner Patvocates GmbH. Im Interview spricht er darüber, warum und wie Patienten in der Krebsforschung eingebunden werden sollten – es aber noch immer nicht sind.

Jan Geißler vertritt im Strategiekreis der Nationalen Dekade gegen Krebs den Dekaden-Partner Patvocates GmbH, ein Think Tank und Beratungsunternehmen für Patientenvertretung, Gesundheitspolitik und Patientenbeteiligung in der medizinischen Forschung. Im Interview spricht er darüber, warum und wie Patienten in der Krebsforschung eingebunden werden sollten – es aber noch immer nicht sind.

Herr Geißler, die Nationale Dekade gegen Krebs will die Krebsforschung in Deutschland stärken und vorantreiben, damit zukünftig weniger Menschen an Krebs erkranken und Betroffene bessere Heilungschancen haben. Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Dekade?

Als auf europäischer und deutscher Ebene mit vielen Patientenorganisationen, Forschenden und Behörden gut vernetzter Patientenvertreter bringe ich sehr gerne die Bedürfnisse der Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen in die verschiedenen Aktionsfelder mit ein. Die Patientenpartizipation zu stärken, ist ja eines der sieben Handlungsfelder der Dekade und ich schaue, dass sich die Dekade darauf fokussiert.

Patientenbeteiligung in der Forschung – ist das Neuland in Deutschland?

In manchen Bereichen sind Patientenvertreter heute bereits ganz gut eingebunden, beispielsweise in der Nutzenbewertung. Aber in der Beteiligung im Design von klinischen Studien, in der Gestaltung von Forschungsförderungsprogrammen, im Programm medizinischer Fachkongresse, als Mitglieder von Ethikkommissionen oder in der Kontroverse um den Datenschutz ist die Patientenbeteiligung bisher nur selten der Fall. Hier wird immer noch sehr viel über Patientinnen und Patienten, aber nicht mit ihnen gesprochen, obwohl sehr kompetente Ansprechpersonen auf unserer Seite zur Verfügung ständen. Auch gibt es in Deutschland kaum Forschung über partizipative Prozesse, um Patientenbeteiligung systematisch anzugehen. Hier hat Deutschland im Vergleich zur europäischen Ebene und unseren Nachbarländern noch sehr viel Nachholbedarf. Die Dekade kann ein Schlüssel sein, um dies gemeinsam zu ändern.

Warum sollten Patientinnen und Patienten stärker in die Krebsforschung eingebunden werden?

Erkrankte bewerten Lebensqualität, Nebenwirkungen und Nutzen-Risiko-Balance oft ganz anders als Ärzte und behördliche Mitarbeiter dies annehmen. Durch ihre tägliche Arbeit in Selbsthilfe-Gruppen und Online-Medien haben Patientenvertreter oft einen einzigartigen und weitreichenden Einblick in die unerfüllten Bedürfnisse der Betroffenen sowie deren unterschiedlichen Subgruppen, in die weitreichenden Herausforderungen des Lebens mit Krebs und ihre Erwartungen an die zukünftige Forschung. Diese Erfahrung sollte unbedingt in den Diskurs über präventive Maßnahmen, Forschungsprioritäten, klinische Prüfungen, Versorgungsforschung und auch die Bewertung von Gesundheitsinterventionen einfließen, um sie bedürfnisorientiert auszurichten und auch um schneller zu lernen, was gut funktioniert und was am tatsächlichen Bedarf vorbeigeht. Dies muss bereits in der Definitionsphase von allen Maßnahmen passieren, denn am Ende kann man bereits erhobene Daten nur noch gut oder schlecht finden, aber nicht mehr das für Patientinnen und Patienten Richtige und Wichtige erforschen.

Von einer Patientenbeteiligung an der Forschung könnten also alle Seiten profitieren. Warum werden Patientinnen und Patienten dennoch bisher nicht stärker in die Krebsforschung eingebunden?

Krebsforschung war traditionell das Feld der Wissenschaft, der Industrie und der Behörden, weil man glaubte, man wüsste schon ganz gut, was Patientinnen und Patienten wirklich brauchen. Dabei standen aber oft klinische, wissenschaftliche und gesundheitssystembedingte Prioritäten im Vordergrund und nicht zwangsläufig die ausdrücklichen Bedürfnisse der Betroffenen. Das Verlassen dieser Silos und die Etablierung eines Dialogs mit Patienten über Forschungsdesign erfordern natürlich nicht nur Umdenken, sondern in einem so hoch regulierten und technischen Umfeld auch neue Prozesse und Herangehensweisen. Dies passiert nicht über Nacht. Da sich aber im europäischen Umfeld, vor allem im Bereich von HIV, seltenen Erkrankungen und Krebs, bereits seit rund 15 Jahren sehr bewährte Partizipationsprozesse in Forschung, klinischer Entwicklung und regulatorischen Prozessen entwickelt und etabliert haben, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir in Deutschland schnell lernen und der Partizipation in der Forschung Schwung verleihen können.

Welchen Beitrag kann die Nationale Dekade gegen Krebs leisten, um dies für die Zukunft zu ändern?

Die Nationale Dekade gegen Krebs bringt alle Akteursgruppen zusammen – Forschung und Wissenschaft, Ärzteschaft, Kliniken, Fachgesellschaften, Politik, Krankenkassen und die Selbsthilfe. Es ist das erste Mal in Deutschland, dass dies im Bereich der Krebsforschung passiert. Durch die Zusammenarbeit im Strategiekreis und die ArbeitsgruppenPrävention, Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung und Große ungelöste Fragen der Krebsforschung können wir gemeinsam nicht nur die großen Herausforderungen, sondern auch gemeinsame Herangehensweisen und Lösungsansätze diskutieren und Denk- und Interessensblockaden überwinden. Ich sehe die Dekade als Brückenbauer und Schmelztiegel für eine patientenzentrierte, schneller lernende und gut vernetzte Krebsforschung. Wir Patienten möchten gerne dabei helfen, dass sich dies wirklich an den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten und nicht an systemischen Interessen orientiert.

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