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„Es ist entscheidend, Patientinnen und Patienten aktiv einzubeziehen.“

Professor Dr. Carsten Bokemeyer ist Direktor und Sprecher des Universitären Cancer Centers in Hamburg. Im Interview erklärt er, warum Forschung und Versorgung noch stärker vernetzt werden müssen und welche Rolle Betroffene dabei spielen.

Professor Dr. Carsten Bokemeyer ist Direktor und Sprecher des Universitären Cancer Centers in Hamburg. Im Interview erklärt er, warum Forschung und Versorgung noch stärker vernetzt werden müssen und welche Rolle Betroffene dabei spielen.

Herr Professor Bokemeyer, Krebspatientinnen und -patienten sollen in allen Regionen Deutschlands den gleichen Zugang zu neuesten Krebstherapien haben. Wie können wir das erreichen?

Es ist sinnvoll, Krebstherapien zu bündeln, um qualitativ hochwertige Behandlungen zu ermöglichen, ohne dass Patientinnen und Patienten weite Strecken fahren müssen. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bieten wir seit vielen Jahren innovative Studien über das flächendeckende Netzwerk der Onkologischen Spitzenzentren an, gleichzeitig umfasst die Struktur des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) mittlerweile sechs Standorte. Für eine bessere Zusammenarbeit wäre es vorteilhaft, wenn sich auch Standorte im Norden dem NCT-Prozess anschließen könnten. Wir streben an, dass insbesondere die Onkologischen Spitzenzentren, die noch keine NCT-Zentren sind, langfristig an NCT-Studien teilnehmen. Dazu planen wir den Aufbau einer intensiveren Studienstruktur, sodass NCT und Onkologische Spitzenzentren gemeinsam ein umfassendes Angebot für ganz Deutschland schaffen können.

Welchen Beitrag dazu leistet die Nationale Dekade gegen Krebs und deren AG „Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung“?

Der größte Beitrag der Nationalen Dekade gegen Krebs ist, dass sie das Thema Krebs, die Versorgung der Betroffenen, deren Einbindung und innovative Therapien in den Mittelpunkt gerückt hat. Sie hat alle relevanten Akteure zusammengebracht und diese Themen in der Bevölkerung prominent platziert, was viele Patientinnen und Patienten motiviert hat, sich aktiv zu beteiligen. Um die Arbeit voranzutreiben, wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet. Die AG „Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung“ beschäftigt sich damit, wie wir Daten aus der Versorgung nutzen können, um Fragestellungen für das Labor zu entwickeln oder vorhandene Erkenntnisse aus der Forschung für eine bessere Versorgung zu nutzen.

Vier Modellregionen sollen nun die Forschung und Versorgung enger vernetzen und dadurch neue Erkenntnisse gewinnen. Welchen Mehrwert bringen Modellregionen für Betroffene?

Wir müssen uns bewusst machen, dass Krebsforschung nicht nur Grundlagenforschung ist. Es ist wichtig, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zu übertragen – die Forschung hat schließlich das klare Ziel, Betroffenen direkt zu helfen. Deshalb müssen Forschung – und damit meine ich sowohl die Grundlagen- als auch die Versorgungsforschung – und Versorgung eng vernetzt sein, damit die Forschung in die bestmögliche Richtung geht und den Patientinnen und Patienten zugutekommt. Zudem ist es essenziell, dass adäquate und richtige Versorgung auch in die Peripherie, zu Praxen, Krankenhäusern und anderen zertifizierten Einrichtungen gebracht wird. So wird der Link von zielgerichteter Forschung zu optimaler, leitliniengerechter und innovativer Versorgung gestärkt.

In den Modellregionen werden Patientinnen und Patienten beziehungsweise deren Vertretende eine starke Stimme haben. Warum ist deren Beteiligung so wichtig?

Die Krebsmedizin zielt darauf ab, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Wir haben uns davon entfernt zu glauben, dass wir als Forschende immer wissen, was die richtige Forschungsfrage ist oder wie die beste Versorgung auszusehen hat. Es ist entscheidend, Patientinnen und Patienten mit ihrer Lebensrealität aktiv einzubeziehen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Versorgung effektiv, verständlich und an die tatsächlichen Bedürfnisse angepasst ist. Dabei müssen wir stets die Lebensqualität, die Verlängerung der Lebenszeit und die finanziellen Zumutbarkeiten abwägen. Diese Aspekte sind für die Betroffenen zentral. Nur durch ihre kontinuierliche Beteiligung und Einbindung in unsere Strukturen können wir ihre Bedürfnisse angemessen berücksichtigen.

Sie sind Direktor und Sprecher des Universitären Cancer Centers Hamburg (UCCH) − wie werden Patientinnen und Patienten dort eingebunden?

Seit etwa zehn Jahren arbeiten wir intensiv mit Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen zusammen. Wir unterstützen sie durch Fortbildungen, stellen kommunikative Maßnahmen zur Verfügung und bieten psychologisches Coaching für die Gruppenleitungen an. Durch gemeinsame Aktivitäten haben wir die verschiedenen krebsspezifischen Patientenvertretenden vernetzt. Aus diesem Zusammenschluss wurden zwei Repräsentanten gewählt, die nun mit dem Vorstand des UCCH zusammenarbeiten. Zudem haben wir eine strategische Beratung des UCCH durch Patientinnen und Patienten etabliert. Zwölf sehr erfahrene Patientenvertretende bilden den wissenschaftlichen Beirat.

Vor zwei Jahren gründeten wir das Patientenkompetenzzentrum Nord, um Interessierte zu Patientenbotschaftern auszubilden – diesen Begriff haben die Patientenvertretenden selbst für sich gewählt. Über 30 Absolventen haben die Ausbildung abgeschlossen. Sie erwerben umfangreiches Wissen über Krebs, Krebstherapien, Forschung, das Gesundheitssystem und lernen, sich in Gremien und Gesprächen mit den weiteren Vertretern des Gesundheitssystems zu behaupten. 2023 haben wir einen Patientenkongress mit über 120 Teilnehmenden veranstaltet, der ein großer Erfolg war. Der 2. Hamburger Patientenkongress fand Ende Juni dieses Jahres statt.

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