Patientenbeteiligung in der Versorgung
Wo früher ein eher paternalistisches Verhältnis zwischen Arzt und Patient vorherrschte, Mediziner also vorwiegend die Entscheidungen für die bestmögliche Behandlung aufgrund des aktuellen Wissensstands für den Patienten oder die Patientin trafen, werden heute die Betroffenen selbst immer mehr an Entscheidungen beteiligt, die ihre Gesundheit betreffen.
Dies ist in manchen Bereichen noch nicht so lange üblich und in diesen Fällen müssen sich beide Seiten daran gewöhnen. Dabei zeigt sich, dass sie manchmal eine andere Sichtweise auf die Dinge haben: Während für den Arzt oder die Ärztin oft die Lebenszeitverlängerung im Vordergrund steht, ist für die Patientinnen und Patienten häufig auch die Lebensqualität unter der Behandlung entscheidend. In der palliativen Situation – wenn also die Erkrankung unheilbar ist und es vor allem darum geht, die Beschwerden zu lindern – ist für die Betroffenen die Bewahrung von Autonomie und Würde richtungsweisend für ihre Entscheidung für oder gegen eine Behandlung. Erhebungen haben gezeigt, dass Patientinnen und Patienten bei Berücksichtigung ihrer Wünsche zufriedener mit ihrer Therapie sind und ihre Lebensqualität besser einschätzen.
Betroffene werden zu Beteiligten
Inzwischen ist das Recht von Patientinnen und Patienten auf Beteiligung (Partizipation) an Gesundheitsentscheidungen in der Versorgung auch gesetzlich verankert (Patientenrechtegesetz, 2013). Dies umfasst zum einen auf individueller Ebene die so genannte partizipative Entscheidungsfindung (auch: shared decision making), bei der Patientinnen und Patienten vom Behandler über verschiedene Therapieoptionen und deren Vor- und Nachteile informiert werden, beide Parteien dies unter Einbezug persönlicher Präferenzen und Lebensumstände des Betroffenen diskutieren und am Ende eine gemeinsame Entscheidung treffen.
Mitspracherechte bei grundlegenden Entscheidungen im Gesundheitswesen
Doch es geht nicht nur um die Umsetzung von Selbstbestimmungsrechten. Die Berücksichtigung der Erfahrungen und Interessen von Patientinnen und Patienten führt auch zur Sicherung und Anhebung der Qualität praktizierter medizinischer Versorgung.
Daher ist auf institutioneller Ebene in der so genannten Patientenbeteiligungsverordnung (§ 140 f SGB V, 2004) festgeschrieben, dass Patientenvertreterinnen und -vertreter im Deutschen Gesundheitswesen in den Organen der Gemeinsamen Selbstverwaltung, u.a. in dessen wichtigstem Gremium, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), einzubinden sind.
Obwohl der G-BA eine mächtige Institution des deutschen Gesundheitswesens ist, ist er wohl den wenigsten Bürgerinnen und Bürgern ein Begriff. Doch hier treffen Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam Entscheidungen, die das Leben von Patientinnen und Patienten maßgeblich beeinflussen: Der G-BA legt fest, welche Leistungen erkrankten Menschen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen. Patientenvertreterinnen und -vertreter haben hier das Recht auf Mitberatung und können Anträge stellen. Das trägt dazu bei, dass trotz unterschiedlicher Interessen der beteiligten Parteien Entscheidungen am Patientenwohl ausgerichtet sind.
Grundlage für die Entscheidung des G-BA bilden u.a. Gutachten des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das unabhängig und wissenschaftlich den Nutzen von diagnostischen oder therapeutischen Verfahren und Arzneimitteln anhand des aktuellen medizinischen Wissensstandes (Studienlage) bewertet. Beim IQWIG können Patientinnen und Patienten schriftlich Stellung zum geplanten Vorgehen oder zu den vorläufigen Ergebnissen einer Nutzenbewertung nehmen. So können Betroffene frühzeitig auf weitere Aspekte oder fehlende Daten aus Patientensicht hinweisen.
Beteiligung an der Bedarfsorientierten Planung der Versorgung
Hinzu kommt das Recht auf Beteiligung auf Landesebene, zum Beispiel in Gremien der Kassen, die darüber entscheiden, wie viele Ärztinnen und Ärztinnen einer bestimmten Fachrichtung den gesetzlich Versicherten in einer Region zur Verfügung stehen. Oder in solchen, die sich mit damit beschäftigen, wie typische Probleme beim Übergang des Patienten zwischen ambulanter und stationärer Versorgung (Sektorengrenze) zu überwinden sind. Patientenbeteiligung stellt hier sicher, dass patientenorientierte und am realen Bedarf der Versorgung angepasste Entscheidungen getroffen werden.
Zur Wahrung von Patienteninteressen findet auch die Erstellung von ärztlichen Leitlinien inzwischen unter Patientenbeteiligung statt. Leitlinien geben behandelnden Ärztinnen und Ärzten auf wissenschaftlicher Grundlage Empfehlungen für die bestmögliche Therapie.
Auch immer mehr Kliniken berücksichtigen über einen Patientenbeirat die Bedürfnisse und Interessen von Patientinnen und Patienten in ihrer täglichen Arbeit und in ihrer strategischen Ausrichtung. Dies wird in den einzelnen Kliniken unterschiedlich gehandhabt.
Voraussetzungen für eine Beteiligung
Bei Entscheidungen im Gesundheitswesen geht es auch um sehr viel Geld, beispielsweise wenn das Votum zugunsten oder gegen die Durchführung einer Therapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen ausfällt. Daher werden u.a. im G-BA und IQWIG nur Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen, die auf Bundesebene tätig sind, zugelassen, die durch Offenlegung ihrer Finanzierung den Nachweis erbringen, neutral und unabhängig zu arbeiten.
Zudem müssen die am Prozess Beteiligten eine gewisse Sachkunde besitzen und auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Der G-BA unterhält seit 2008 eine Stabsstelle Patientenbeteiligung, die zu diesem Zweck Schulungen organisiert und im Beratungsprozess unterstützen. Das IQWIG führt ebenfalls in unregelmäßigen Abständen Workshops zur Patientenbeteiligung durch.
Die Nationale Dekade gegen Krebs bringt Patientenbeteiligung voran
Ein weiterer Schritt zur Partizipation Betroffener ist die Patientenbeteiligung in der Forschung. Diese steckt in Deutschland vielfach noch in den Kinderschuhen. Die Nationale Dekade gegen Krebs bindet nicht nur die Patientenperspektive in ihren eigenen Gremien ein, sie hat es sich auch zum Ziel gesetzt, die Beteiligungen von Patientinnen und Patienten in der Krebsforschung auszubauen.