„Forschung soll die Lebensqualität kranker Menschen verbessern“
Traudl Baumgartner, Vorsitzende des BRCA-Netzwerks, im Gespräch über eine nachhaltige Begleitung von Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Sie wünscht sich, dass Erkrankten und ihren Angehörigen besser zugehört wird.
Frau Baumgartner, das BRCA-Netzwerk informiert über den Unterschied zwischen Brustkrebs und familiärem Brustkrebs oder auch Eierstockkrebs und familiärem Eierstockkrebs. Die Gene spielen also eine Rolle?
Krebs entsteht durch Veränderungen in den Genen. Bei ungefähr einem Viertel der Fälle ist ein ererbter Gendefekt mit ursächlich für die Erkrankung. Diese Genmutationen können auch an die nachfolgende Generation weitergegeben werden. Die bekanntesten Risiko-Gene sind BRCA1- oder das BRCA2. BRCA ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung Breast Cancer, auf Deutsch also Brustkrebs. Aber auch das Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken, kann über Mutationen in einem Risiko-Gen vererbt werden.
Es besteht die Möglichkeit, diese familiäre Vorbelastung testen zu lassen. Das Ergebnis dieses Gentestes wirft unter Umständen weitere Fragen auf. Und das in einer für die erkrankte Frau grundsätzlich belastenden Situation…
Für jede Frau ist die Diagnose Brust- oder Eierstockkrebs zunächst ein Schock. Wenn sie aber weiß, sie trägt eine Genmutation und hat sie vielleicht sogar schon weitervererbt, treten oftmals Schuldgefühle neben einer Vielzahl von weiteren speziellen Problematiken auf. Gefühle sind leider nicht rational, die Betroffenen trifft sicher keine Schuld. Aber dennoch wird das so empfunden. Wir im BRCA-Netzwerk greifen diese Themen auf und sensibilisieren für die Nöte der Betroffenen. Zudem stellen wir Informationen zur Verfügung. Denn nach einer Diagnose und mit dem Wissen um eine Mutation der Gene tauchen weitere Fragen auf, die von den Frauen je nach Persönlichkeit unterschiedlich beantwortet werden.
Welche Fragen sind das? Und können Sie den Ratsuchenden helfen?
Die Palette der Fragen ist vielfältig. Angefangen bei der Prävention und Früherkennung, geht es auch um das Thema Kinderwunsch, um die Sinnhaftigkeit vorbeugender Operationen, also die Frage einer Brustdrüsenentfernung, um den Wiederaufbau der Brust, auch um Themen wie Kostenübernahmen durch die Krankenkassen und dergleichen mehr. Das Vertrackte an der Situation ist, dass diese Krankheit und das Wissen um die genetische Disposition einen Rattenschwanz von weiteren Entscheidungen nach sich ziehen. Dabei kann es passieren, dass Patientinnen sich als Spielball empfinden, aber eigentlich selbst die Oberhand behalten wollen. Dabei können wir zur Seite stehen. Zudem haben nicht nur die Betroffenen und ihre Familien Fragen. Selbst Fachleute sind nicht immer auf dem neuesten Stand. Je besser das Wissen zugänglich ist, umso besser ist die Grundlage für notwendige Entscheidungen.
Das Wissen um persönliche genetische Veranlagung kann also einerseits Klarheit bringen, andererseits psychisch belastend sein. Wie gehen Betroffene damit um und was hat sich aus Ihrer Erfahrung als hilfreich erwiesen?
Jede Betroffene geht auf ihre Art damit um. Manche informieren sich selbst und erlangen Expertinnenstatus, um auf der Grundlage weitere Entscheidungen treffen zu können. Andere wiederum würden gerne die Verantwortung abgeben und das tun, was man ihnen rät. Je nach Persönlichkeit beschäftigen sich Betroffene mit unterschiedlichen Aspekten; jede Frau kann den Weg finden, der am besten zu ihr passt. Dabei sind viele Entscheidungen zu treffen, viele Dinge zu überlegen und Probleme anzugehen. Z. B. sind manche unsicher, wie sie mit den Verwandten über das Thema reden können. Andere tun sich schwer mit dem Gedanken einer vorsorglichen Entfernung der Brüste oder der Eierstöcke. Um über diese Dinge mit anderen Betroffenen reden zu können, bietet das BRCA-Netzwerk bundesweit lokale Gesprächskreise. Dort tauschen sich Gleichgesinnte aus, Betroffene stärken sich gegenseitig und lernen voneinander.
Habe ich das richtig verstanden, dass Kosten für den Gentest, eine Operation und ggfs. den Brustaufbau nicht in jedem Fall erstattet werden? Warum?
In der Regel klappt das gut. Aber leider gibt es immer wieder Fälle, bei denen um eine Kostenübernahme gestritten werden muss. Manchmal geht es um die vorsorgliche Abnahme des Brustdrüsengewebes bei einer noch gesunden Frau. Da tun sich manche Kassen schwer, eine Kostenzusage für die Behandlung zu geben. Das Thema Umgang mit Versicherungen ist übrigens immer wieder auch ein Thema in den Gesprächskreisen vor Ort.
Handlungsbedarf sieht das BRCA-Netzwerk auch bei rechtlichen Grundlagen im Bereich der Prävention bei genetischer Prädisposition. Welcher Regelung bedarf es hier Ihrer Meinung nach?
Die Forschung in der Onkologie entwickelt sich aktuell rasant. Das kann weitere Fragen aufwerfen. Ein Beispiel: Neuere Medikamente sind zielgerichtet, d.h. sie zielen auf ganz bestimmte Eigenschaften des Tumors. Dazu wird Tumorgewebe genetisch untersucht. Dabei werden auch Mutationen gefunden, die sich nicht nur im Tumor entwickelt haben, sondern in jeder Körperzelle veranlagt sind. Sie sind folglich bereits angeboren, können weitervererbt werden und haben somit eine weitreichende Bedeutung für die erkrankte Person sowie auch für die dazugehörige Familie. Angeborene Mutationen für ein erhöhtes Krebsrisiko und das Wissen darum haben einen erheblichen Einfluss auf das Leben und die Lebensgestaltung. Diese Informationen müssen vor Testung des Tumors den Betroffenen verfügbar gemacht werden.
Das Gendiagnostikgesetz (GenDG) regelt Untersuchungen am menschlichen Genom und dient dem Schutz der untersuchten Menschen. Der vorher beschriebene Weg zur Gewinnung von genetischen Ergebnissen bei der Testung von Tumorgewebe, quasi als Zufallsbefund, ist allerdings bisher nicht ausreichend vom Gendiagnostikgesetz abgedeckt, es kann also hier nicht den notwendigen Schutz gewähren. Hier erhoffen wir uns Änderung.
Auch wäre es wünschenswert, wenn die Kostenübernahme für Gentests und für vorbeugende Behandlungen besser geregelt wäre. Dabei sollten die Bedürfnisse der Betroffenen immer wichtigstes Kriterium sein, auch deren Recht auf Nicht-Wissen.
Mit der Nationalen Dekade gegen Krebs möchte das Bundesforschungsministerium unter anderem innovative Forschungsergebnisse schneller zum Menschen bringen und umgekehrt auch die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten stärker einbeziehen.
Aus meiner Sicht kommen die Ergebnisse der Forschung in vielen Kliniken bei den Betroffenen an. Wenn nicht unbedingt kommunikativ, auf jeden Fall aber in der Behandlung. Aus unserer Sicht wäre es aber sinnvoll, wenn mehr Transparenz herrschen und die Informationen über neuste Entwicklungen zur Verfügung stehen würden. Gerade wenn Patientinnen umfänglich entscheiden müssen, sind verständliche Informationen wesentlich. Das ist die Voraussetzung für eine partizipative Entscheidungsfindung, d.h. die Patientinnen und Patienten überlegen zusammen mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und entscheiden gemeinsam. Ich selbst bin zweimal erkrankt und weiß aus eigener Erfahrung, dass es im Krankheitsverlauf unterschiedliche Phasen gibt. Es gibt Phasen, da kann man Information nur bedingt aufnehmen. Zu anderen Zeiten aber will man so viele Informationen wie möglich.
Wo können Betroffene und ihre Angehörigen besser eingebunden werden? Haben Sie einen persönlichen, konkreten Tipp?
Ich wünsche mir eine nachhaltige Betreuung von Erkrankten. In der ersten Phase, wenn es um Diagnose, Aufklärung, Beratung und Behandlung geht, läuft es in der Regel gut. Wenn es aber um die Dauer der Krankheit geht, um Krankschreibungen, um Reha-Maßnahmen und um viele weitere Themen – dann fühlt man sich allein gelassen. Und dabei kann man in Situationen geraten, in denen man kämpfen muss. Um finanzielle Unterstützung etwa oder um den Wunschplatz in einer bestimmten Reha-Einrichtung. Auch die Bewältigung des Alltags kann eine Riesenaufgabe sein. Nicht selten müssen Erkrankte noch weitere Aufgaben erfüllen, Kinder versorgen oder die eigenen Eltern pflegen. In vielen Fällen ist soziale Beratung und Unterstützung nötig. Manchmal droht auch Armut – das belastet eine kranke Person mehr als eine gesunde. Bei der genetischen Disposition tauchen ganz neue Fragen auf: Neben den Fragen zum Umgang mit dem Risiko können sich berufliche Perspektiven verändern, die Frage nach Partner und Elternschaft stellt sich anders und vieles mehr. Ich selbst habe mich nach meiner Diagnose gefragt, ob es noch sinnvoll ist, in einen Bausparvertrag einzuzahlen. Damals schien mir aufgrund der Geschichte mit meiner früh verstorbenen Mutter mein eigener früher Tod nicht unwahrscheinlich.
Welche Empfehlungen und Wünsche möchten Sie Forscherinnen und Forschern, Ärztinnen und Ärzten und allen am Thema Krebs Beteiligten bzw. der Dekade insgesamt mit auf den Weg geben?
Ich denke, alle im Gesundheitswesen Tätigen sollten im Bemühen um Qualität darauf hören, was Patientinnen und Patienten zu sagen haben. Zudem wünsche ich mir, Angehörige würden mehr gewürdigt in der zentralen Rolle, die sie spielen. Auch für sie würde ich mir mehr niedrigschwellige Angebote wünschen, unter anderem beispielsweise psychologische Beratung. Im Klinikalltag sind Angehörige kaum eingebunden, können aber dort auch wichtige Unterstützung leisten. Und schließlich mit Blick auf die Forschung: Ja, es wird viel geforscht. Ich wünsche mir mehr unabhängige Forschung, die nicht vorrangig wirtschaftliche Interessen verfolgt. Dann ist die Frage für die Verantwortlichen näher, für wen sie das tun und eben nicht vorrangig für wirtschaftliche Interessen oder für die eigene Karriere. Mein Wunsch wäre: Vergesst die Menschen nicht. Forscht dafür, die Lebensqualität kranker Menschen zu bessern.