“Sei im Jetzt – das hast du sicher.”
Ein Leben in der Schwebe – das ist der Alltag mit metastasiertem Krebs, auch der von Julia Hoefer und Eva Leroy. Sie haben darüber ein Buch geschrieben, das betroffenen Familien Zuversicht spendet. Und ein bisschen auch ihnen selbst.
Julia Hoefer und Eva Leroy haben metastasierten Lungenkrebs. Beide waren zum Zeitpunkt der Diagnose noch jung, Ende Dreißig und Anfang Vierzig. Da ihr Tumor molekular getestet und die Ursache für die Mutation gefunden wurde, können sie mit zielgerichteten Therapien behandelt werden. Solch eine Therapie, meist in Tablettenform, wirkt so lange, bis der Tumor voranschreitet. Im Falle eines Progresses wird erneut getestet und ein neues Medikament ausprobiert. Ob und wie lange es hilft, den Krebs in Schach zu halten, ist nie gewiss. Im Interview sprechen wir mit beiden darüber, was das bedeutet.
Wie beeinflusst die Krankheit Ihren Alltag?
E. Leroy: Die Krankheit wird in den Alltag integriert. Strukturell, weil ich viele Termine einhalten muss: Arztbesuche, MRT, CT und Blutuntersuchungen. Physisch, denn auch die Nebenwirkungen der Therapie gehören dazu: Muskelschmerzen, Wassereinlagerungen, Verdauungsstörungen u.a. Natürlich auch emotional, die Krankheit ist Gesprächsthema in der Familie.
J. Hoefer: Mein Leben ist ein ganz anderes, als es ohne die Diagnose wäre. Nichts ist mehr wie vorher. Ich habe keine Kinder, ich lebe in einer Mietwohnung, da mein Mann und ich uns nach der Diagnose dagegen entschieden haben, Wohneigentum zu erwerben, und ich bin seit meinem 40. Geburtstag verrentet.
Sind Sie von Anfang an offen mit der Diagnose umgegangen?
J. Hoefer: Im Familien- und Freundeskreis bin ich offen mit der Diagnose umgegangen, im Bekanntenkreis weniger. Das hat bei Nachfragen zu unangenehmen Situationen geführt, weil ich nicht alles sagen, aber auch nicht lügen wollte. Daher bin ich Schritt für Schritt damit an die Öffentlichkeit gegangen, auch über das Buch. Und jetzt fühlt es sich normal an, darüber zu sprechen. Es ist wichtig, dass wir in der Gesellschaft offen mit Krebs umgehen.
E. Leroy: Ich bin zu Beginn ganz offen mit der Diagnose umgegangen, schon wegen meiner Kinder. In der Schule und von anderen Eltern werden Fragen gestellt und ich wollte, dass meine Tochter frei sprechen kann. Später bin ich etwas zurückgerudert. Es gibt mich ja immer noch als Mensch jenseits der Erkrankung, der möchte ich auch noch sein. Daher entscheide ich jetzt bewusst, wo ich was sage.
Gemeinsam haben Sie das Buch „Ich träume von einem Wunder“ veröffentlicht, das Familien hilft, mit metastasiertem Krebs umzugehen. Wie kam es dazu?
E. Leroy: Ich habe immer gerne gemalt und mich gefragt, wie man Kindern so eine Krankheit erklären kann. Aber mit Sprache kann Julia besser umgehen, daher habe ich sie gebeten, für die Bilder Worte zu finden.
J. Hoefer: Als ich 2016 meine Diagnose bekam, gab es für junge Menschen kaum Informationen zu Lungenkrebs, schon gar nicht zu metastasiertem. Dann waren wir in einem psychoonkologischen Workshop bei einem Barcamp und sind auf Eltern gestoßen, die ihre metastasierte Krebserkrankung schon seit zwei Jahren vor ihren Kindern geheim hielten. Die wussten nicht, wie sie es ihren Kindern sagen sollen – oder ob sie es ihnen überhaupt sagen sollen.
E. Leroy: Als metastasierter Patient lebt man, je nach Krebsverlauf, auch von Progress zu Progress, von Staging* zu Staging. Für Kinder und auch für Erwachsene heißt das: Es gibt meist nur das Hier und Jetzt, weniger Zukunft. Und gleichzeitig hat man einen normalen Familienalltag, der weiterläuft, in dem man auch zukunftsrelevante Entscheidungen treffen muss oder möchte. In dieser Diskrepanz lebt man. Das ist für Kinder schwierig zu greifen und für Erwachsene auch. Wir wollten helfen, das einzusortieren.
Haben Sie diese Lebenssituation denn für sich selbst einsortieren können?
J. Hoefer: Man muss sich ein Leben in der Schwebe aufbauen. Stabilität gibt es nicht, und auch keine Sicherheit. Das führt dazu, dass man nicht mehr unbedarft ist.
Über das Buch habe ich selbst auch für mich ausformuliert, mit welchem Blick man auf die Zukunft gucken kann: Mit einem Hauch von Zuversicht, dass ich selbst in dieser besonderen Situation einen guten Weg finde, damit umzugehen.
Welche Botschaft möchten Sie betroffenen Familien mitgeben?
E. Leroy: Sei im Jetzt, das hast du sicher! Momente können unheimlich glücklich machen. Und: Das Schöne am Leben ist sich zu erlauben, das zu denken, was man möchte.
Welche Reaktionen erhalten Sie auf das Buch?
E. Leroy: Dankbare Rückmeldungen und Berührtheit. Wir haben auch erfahren, dass das Buch in der psychologischen Arbeit genutzt wird. Der Angehörige eines verstorbenen Krebskranken hat berichtet, er habe erst durch das Buch, nach dem Tod seines Familienmitglieds, ein wirkliches Verständnis für dessen Gefühle aufbringen können. Ein Kind hat geschrieben das Buch sei „traurig, aber auch schön“. Es gibt ausschließlich positive Reaktionen.
J. Hoefer: Die freuen uns sehr, denn wir waren oft unsicher. “Darf man das so sagen?”, haben wir uns immer wieder gefragt.
Sie engagieren sich beide in der Selbsthilfe. Welche Rolle spielen Menschen, die dasselbe wie Sie erleben, für den persönlichen Umgang mit Krebs?
J. Hoefer: Die Vorsicht und Zurückhaltung, die man sogar gegenüber Ärzten hat, gibt es im Austausch mit Betroffenen gar nicht. Da kann man sich komplett frei verhalten und zeigen. Es gibt leider große Vorurteile gegenüber der Selbsthilfe, dass es dort trist und traurig zuginge. Das hält Menschen davon ab, mit ihr in Berührung zu kommen. Aber dann geht man da hin und ist überrascht: Alle lachen und sind fröhlich. Auch Eva und ich haben uns durch die Selbsthilfe kennengelernt, in einer Untergruppe für Patienten mit ALK-Mutation.
E. Leroy: Die Selbsthilfe ist auch wichtig als Informationsquelle, wenn es um neue Forschungsergebnisse oder Studien geht – man ist durch das Netzwerk immer auf dem neuesten Stand. Und wir pflegen dort eine schöne Kultur, wie man über die Krankheit reden kann. Im freien Reden über den Krebs, ohne Vorurteile und Stigmatisierung, kann man auch lachen. Das ist wie eine Auszeit vom Krebs.
*Als Staging wird eine Analyse bezeichnet, die Größe und Ausbreitung eines Tumors im Körper bestimmt.