„Die Patientinnen möchten nicht nur als Frau mit Krebs gesehen werden, sondern als Mensch mit Geist und Seele.“
Im Alter von 39 Jahren erkrankte Marion Gebhardt an Brustkrebs. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit gibt sie nun unter anderem als Mitglied der Frauenselbsthilfe Krebs e. V. an andere Patientinnen weiter.
Im Alter von 39 Jahren erkrankte Marion Gebhardt an Brustkrebs. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit gibt sie nun unter anderem als Mitglied der Frauenselbsthilfe Krebs e. V. an andere Patientinnen weiter.
Frau Gebhardt, Sie sind ausgebildete Krankenschwester. Wie hat Ihnen das geholfen, mit Ihrer eigenen Krankheit umzugehen?
Durch meine Ausbildung als Krankenschwester war es für mich einfacher, mit den onkologischen Fachbegriffen umzugehen und diese zu verstehen. Außerdem konnte ich durch meinen früheren Beruf sehr sachlich an die Situation herangehen und die emotionale Seite etwas abspalten. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Ärztinnen und Ärzte sich leichter getan haben, weil sie mit mir in ihrer „Fachsprache“ kommunizieren konnten. Mir sind auch immer viele Rückfragen eingefallen, die ein Laie vielleicht nicht hat. Trotz allem war es für mich nicht einfach, mit meiner Krebserkrankung auf einmal auf der Patientenseite zu sein und die Hilfe einer Krankenschwester zu benötigen. Als ich nach einer großen Operation auf der Intensivstation lag und gewaschen wurde, habe ich beinahe geweint. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich einmal in dieser Situation sein würde.
Wie kamen Sie zur Frauenselbsthilfe (FSH) und inwiefern hat die Selbsthilfe Sie unterstützt?
Ich kam erst nach Abschluss meiner Behandlung zur Frauenselbsthilfe Krebs. Während der Therapie hatte ich nicht den Wunsch nach Austausch mit anderen betroffenen Frauen. Erst als ich dann doch zu einer Selbsthilfegruppe der FSH gegangen bin, wurde mir bewusst, wie wichtig Gespräche mit Frauen sind, die diese Erkrankung auch durchgemacht haben. Die eigenen Angehörigen oder auch Freunde sind immer in Sorge und selbst stark durch die Situation belastet. Mit ihnen können die meisten Betroffenen nicht wirklich offen über ihre Sorgen und Befürchtungen sprechen. Das Motto der FSH „Auffangen – Informieren – Begleiten“ trifft genau das, was ich nach meiner Krebserkrankung benötigt habe. Nach einer gewissen Zeit in der Gruppe war mir dann auch klar, dass ich andere Betroffene mit meinen Erfahrungen unterstützen und ein Ehrenamt im Gruppenleitungsteam übernehmen wollte.
Was ist Ihr Eindruck: Was wünschen sich die Patientinnen am häufigsten und welche Unterstützung brauchen sie am dringendsten?
Die meisten Patientinnen wünschen sich mehr Zeit und Einfühlungsvermögen bei den Aufklärungsgesprächen. Sie möchten sich verstanden fühlen und mit den Ärztinnen und Ärzten gemeinsam ihren Behandlungsweg beschließen. Gut aufgeklärte und informierte Betroffene gehen besser mit der Erkrankung um und bleiben ihrer Therapie viel eher treu; das heißt, es kommt viel seltener zu Behandlungsabbrüchen. Das medizinische Personal hat jedoch leider in den allermeisten Fällen nicht die Zeit für ausführliche Informationsgespräche.
Unsere Erfahrung aus den Gruppen zeigt auch, dass die Betroffenen sich wünschen, im Ganzen wahrgenommen zu werden. Sie möchten beispielsweise nicht nur als die Frau mit einem Mammakarzinom gesehen werden, sondern als Mensch mit Geist und Seele.
Eine große Hürde stellt nach wie vor der Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung dar. In unserer Gruppe hören wir von den frisch Erkrankten immer wieder, dass sie sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus völlig allein gelassen fühlen. Sie wünschen sich möglichst konstante Ansprechpartnerinnen und -partner während der gesamten Behandlungskette.
Sie sind Gründungsmitglied der NetzwerkStatt Krebs. Worum geht es bei der Initiative und welche Ziele verfolgt sie?
Die NetzwerkStatt Krebs ist eine Initiative, die sich an Frauen richtet, die jünger als der Durchschnitt an Krebs erkranken. Diese Frauen brauchen besondere Unterstützung. Häufig ist die Familienplanung noch nicht abgeschlossen oder es sind kleine Kinder zu betreuen. Sie sind noch in der Ausbildung oder stehen mitten im Berufsleben. Außerdem ist die psychische Belastung zusätzlich hoch, weil die Erkrankung in jungen Jahren meist sehr aggressiv ist. Dadurch ergeben sich andere Probleme, als wenn man mit 60 Jahren oder älter erkrankt, und im Betroffenenaustausch sind die Themen entsprechend andere.
Bei meiner Ersterkrankung war ich 39 Jahre alt und hatte zwei schulpflichtige Kinder. Die Gruppe Erlangen gründete damals gerade zusätzlich eine „junge Gruppe“, die ich dann regelmäßig besucht habe. Wenn dieses Angebot nicht gewesen wäre – glaube ich – wäre ich wahrscheinlich nicht so oft bzw. gar nicht mehr zu den Gruppentreffen gegangen. Aus dieser Erfahrung heraus kam meine Motivation, mich für die Gründung der NetzwerkStatt Krebs einzusetzen, die ein überregionales Angebot für jung Erkrankte darstellt.
Welche Erwartungen haben Sie an die Krebsforschung? (u.a. Stichwort Patientenbeteiligung)?
Wünschenswert für die Betroffenen ist eine zielgerichtete und individuelle Therapie, ebenso die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Fachgebiete. Hier gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte, die positiv stimmen. Es ist wunderbar, dass durch neue Erkenntnisse bei vielen Patientinnen beispielsweise heute auf die Chemotherapie verzichtet, schonender operiert oder bestrahlt werden kann. Die Immuntherapie zeigt sehr vielversprechende Ergebnisse. Hier haben wir die Erwartungen an die Krebsforschung, dass durch neue Therapieformen noch mehr Krebsarten als bisher besser behandelt werden können.
Dabei ist es uns sehr wichtig, dass Patientenvertreterinnen und -vertreter ihre Betroffenenkompetenz auch im Bereich der Krebsforschung mit einbringen können. Für die Forschenden sind die Endpunkte einer Behandlung doch manchmal andere als für die Betroffenen selbst. Wir wissen, welche Endpunkte für die Patientinnen und Patienten tatsächlich relevant sind in Bezug auf Lebensqualität, progressionsfreies Überleben und Überlebenszeit.
Sie sind aktiv daran beteiligt, die Krebs-Leitlinien im Bereich Brustkrebs mit zu entwickeln. Welche Themen stehen dabei für Sie im Vordergrund?
Für die Frauenselbsthilfe Krebs stehen die Kapitel Aufklärung und Information im Vordergrund, außerdem die Rehabilitation und Psychoonkologie. Oft weiß das Behandlungsteam nicht, wie wichtig diese Themen für die Betroffenen sind. Ein toller Fortschritt ist, dass mittlerweile sehr viele onkologischen S3-Leitlinien als Broschüren in laienverständlicher Form herausgegeben werden. Wir würden uns wünschen, dass die Betroffenen diese gleich zum Behandlungsbeginn überreicht bekommen. Diese Informationen unterstützen auch die Arzt-Patienten-Beziehung bzw. -Kommunikation, was beiden Seiten zugutekommt.