„Einmal Sprotte, immer Sprotte“
Warum sie 250 Kolleginnen und Kollegen über ihre Krankheit informiert hat und wie die Krebsdiagnose Betroffene zusammenschweißt: Ein Gespräch mit Esther Irmer, Vorsitzende des Selbsthilfevereins Kieler BrustkrebsSprotten.
Warum sie 250 Kolleginnen und Kollegen über ihre Krankheit informiert hat und wie die Krebsdiagnose Betroffene zusammenschweißt: Ein Gespräch mit Esther Irmer, Vorsitzende des Selbsthilfevereins Kieler BrustkrebsSprotten.
Frau Irmer, Sie sind eine starke, kraftvolle „Macherin“. Wie war es für Sie und Ihr Umfeld, dass Sie von einem Tag auf den anderen schwer erkrankt waren?
Die Spontanreaktion meines Umfeldes klingt mir noch heute im Ohr: „Doch nicht DU!!" Fassungslosigkeit ist wohl der Begriff, der mein Empfinden am besten beschreibt. Ich ernähre mich gesund, rauche und trinke nicht, treibe gern und viel Sport und bin ein Sonntagssonnenscheinkind mit immer guter Laune und einem Lächeln im Gesicht. Das habe ich mir auch durch die mistige Diagnose nicht nehmen lassen und bin erstmal mit meinem Mann in den Urlaub gefahren, was mir viel Kraft gegeben hat. Nach dem „Warum ausgerechnet ich?“ habe ich nicht gefragt, wissend, dass es darauf keine Antwort gibt. Stattdessen wurde alle Energie in die Gesundung gesteckt.
Sie standen zum Zeitpunkt Ihrer Diagnose voll im Arbeitsleben und haben Ihre Kolleginnen und Kollegen offen über Ihre Erkrankung informiert. Wie wichtig war es für Sie, in dieser Situation klar und direkt zu kommunizieren?
Rund ein halbes Jahr vor mir war eine Kollegin erkrankt und niemand sollte von ihrer Krankheit wissen. Aber jeder konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht gut ging und natürlich wurde getuschelt. Das wollte ich nicht! Also entschied ich mich dafür, eine offensive Mail an alle meine 250 Volksbank-Kollegen zu senden, in der ich darum bat, "einfach normal" mit mir umzugehen. Daraufhin habe ich herzerwärmende Reaktionen erhalten, die mich bestärkt und durch die Therapie getragen haben. Bis heute sind sie eine Triebfeder, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Krebs braucht klare und direkte Kommunikation, um einen angst- und tabufreien Umgang mit der Erkrankung zu schaffen. Je freier ich davon berichte, desto leichter fällt es dem Umfeld.
Wer hat Sie mit Ihren Ängsten und Sorgen nach der Diagnose und während der Behandlung auffangen können?
Familie, Freunde und Kollegen sind natürlich die wichtigste Stütze. Allerdings möchte man seine Lieben nicht mehr belasten als nötig. Mir hat das Vertrauen in die Ärzte geholfen, das Wissen, im Brustzentrum des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in den besten Händen zu sein. Und ich hatte das Glück, bei einem Patiententag eher zufällig auf Gleichgesinnte zu treffen, die dort von ihrer eigenen Fassungslosigkeit berichteten – nach dem Motto „Krebs haben doch nur die anderen". Dies war mein Erstkontakt zur Selbsthilfe.
Sie sind Vorsitzende des jungen Selbsthilfe-Vereins Kieler BrustkrebsSprotten. Worin besteht die besondere Kraft der Selbsthilfe?
In der Gemeinschaft muss nichts erklärt werden. Jede versteht die andere aus dem Selbsterlebten, kennt die Gefühlswelt, teilt die Tränen – aber auch das Lachen. Sorgen, mit denen ich meinen Partner nicht belasten möchte, werden hier genauso offen angesprochen wie Best-Practise-Tipps zur Krebstherapie. Gemeinschaftsaktionen wie wöchentlicher SprottenSport und vielfältige SprottenEvents von Kochen über Waldbaden bis Fotoshooting schaffen positive Erlebnisse und unterstreichen das gute Gefühl, nicht allein zu sein. Jede Selbsthilfe endet mit dem Teilen persönlicher Glücksmomente – und auch im dunkelsten Chemo-Tief findet sich immer ein Lichtstrahl. Wer uns von außen beobachtet, erlebt einen Haufen schnatternder Frauen, die – unter Ausblendung der farbenfrohen Kopfbedeckungen – normale Freundinnen sein könnten und oft auch sind. Die Diagnose schweißt zusammen, weit über die Erkrankungsphase hinaus. Einmal Sprotte, immer Sprotte.
Inwiefern hat die Krebserkrankung Ihren Blick aufs Leben verändert?
Ich war schon immer ein extrem positiver Mensch und habe meinen eigenen Gesundungsweg dank vieler Kraftquellen tough gemeistert. Mir ist aber bewusst geworden, dass viele Frauen trotz des erkennbaren Lichts der Heilung im Tunnel verharren. Sie an die Hand zu nehmen, ins Leben zurückzulotsen und ihnen ihr Lächeln wiederzugeben, ist mein Antrieb für das kraftvolle Selbsthilfe-Engagement. So haben wir beispielsweise gemeinsam ein „MUTMACHERINNEN“-Buch geschrieben, bei dem ich zur Vorgabe gemacht habe, dass jede Geschichte mit einem Mutmach-Appell endet. Denn letztendlich ist alles eine Frage der Einstellung und die Sensibilisierung für die vielen kleinen Glücksmomente des Alltags macht reicher und dankbarer. Niemand beschreibt das Gefühl der Intensivierung des Lebens-Blicks besser als der brasilianische Dichter Mario del Andrade: „Wir haben zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn wir erkennen, dass wir nur eines haben.“