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„Die neurowissenschaftliche Krebstherapie könnte die nächste große Sache sein“ 

Professor Dr. Frank Winkler ist ein Pionier der Krebs-Neurowissenschaft und erhielt gemeinsam mit Michelle Monje den hochdotierten Brain Prize 2025. Die beiden wiesen als erste eine Netzwerkbildung von Tumor- und Nervenzellen an Hirntumoren nach.

Herzlichen Glückwunsch zum Brain Prize 2025! Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie persönlich und für Ihr Forschungsgebiet?

Prof. Winkler: Diese Auszeichnung ist für mich persönlich eine ganz wunderbare Würdigung meiner Arbeit und der von vielen anderen Forschenden in Heidelberg, Deutschland und international. Es ist eine Bestätigung, diesen Weg mit Nachdruck weiterzugehen. 

Herr Professor Winkler sitzt im Labor in seinem Laptop und lächelt in die Kamera. Er hat kurze graue Haare, eine Brille und trägt ein Hemd. Artikelbild zum Interview mit Prof. Winkler
Frank Winkler ist Professor für experimentelle Neuroonkologie und leitender Arzt der Neurologischen Abteilung am Uniklinikum Heidelberg und am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). © Hendrik Schroeder/Universitätsklinikum Heidelberg

Welche Erkenntnisse im Bereich der Krebs-Neurowissenschaften der letzten Jahre waren für Sie am überraschendsten? Und welche halten Sie für den größten Durchbruch?

Prof. Winkler: Die überraschendste Erkenntnis war, dass Krebszellen untereinander und mit Nervenzellen komplexe Netzwerke bilden, über die sie kommunizieren und die sich sogar selbst reparieren. Schrittmacherzellen geben den Takt vor, sie steuern den Rhythmus der Kommunikation, ähnlich wie es Nervenzellen bei der Entwicklung des Nervensystems tun. Dass diese Netzwerke auch bei der Metastasierung eine Rolle spielen, ist ein weiterer großer Durchbruch. Die meisten Krebspatienten sterben an Metastasen und es ist wichtig, diesen Prozess besser zu verstehen. Daran arbeiten wir jetzt.

Welche Auswirkungen haben Ihre Forschungsergebnisse auf die Behandlung von Hirntumoren? 

Prof. Winkler: Wir wollen die Netzwerke unterbinden. Es gibt Hinweise, dass sich dadurch das Tumorwachstum verlangsamt und die Krebszellen viel empfindlicher werden, gegenüber Strahlen- und Chemotherapie. Auch Immuntherapien, wie Checkpoint-Inhibitoren, werden wirksamer. Wenn sich die Zellen nicht mehr gegenseitig unterstützen können, dem Therapiedruck zu entfliehen, bilden sich weniger Resistenzen aus – das heißt, der Krebs wird besser behandelbar. 

Gibt es bereits klinische Anwendungen, die darauf basieren?

Prof. Winkler: Im BMBF-geförderten PerSurge-Projekt untersuchen wir derzeit die Hemmung von Zell-Netzwerken mit einem Epilepsie-Medikament. Wir wollen auch Schrittmacherzellen angreifen und planen dazu weitere Studien im erweiterten Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (One NCT). Dabei hilft die starke Förder-Infrastruktur in Deutschland, die vor allem für wissenschaftsgetriebene Studien Gold wert ist. 

Was motiviert und inspiriert Sie persönlich, in diesem anspruchsvollen Gebiet zu forschen?

Prof. Winkler: Als Arzt sehe ich täglich Menschen mit unheilbaren Krankheiten und das große Leid der Betroffenen und ihrer Familien. Das motiviert mich, nicht nur nach Hause zu gehen und die Situation zu bedauern, sondern aktiv im Labor nach Lösungen zu suchen. Die Faszination für die Biologie und Pathobiologie und die Zusammenarbeit mit einem hochmotivierten Team sind weitere Inspirationsquellen. 

Sie arbeiten als Forscher mit anderen Fachdisziplinen und länderübergreifend zusammen. Man hört oft von Konkurrenzdenken in der Wissenschaft. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Prof. Winkler: Wissenschaft ist immer eine Gemeinschaftsleistung. Dazu eine Anekdote: Ich bin in sehr engem Austausch mit Prof. Michelle Monje von der Stanford Universität in Kalifornien und ihrem Team. 2015 saßen wir in meinem Büro in Heidelberg und haben uns ausgetauscht. Jeder wollte dem anderen sagen, was er Verrücktes gefunden hat. Nach zehn Minuten stellten wir fest: Wir hatten unabhängig voneinander die Krebs-Nervenzell-Netzwerke entdeckt. Da war klar, dass es etwas Wichtiges ist. Wir arbeiteten intensiv und kollaborativ daran und reichten unsere Ergebnisse gemeinsam ein. Das gab dem Forschungsfeld einen enormen Schub.

Welche Herausforderungen oder Hürden sehen Sie derzeit in der Krebsforschung und wie können sie überwunden werden?

Prof. Winkler: Eine der größten Herausforderungen ist die Koordination und Weiterentwicklung von Medikamenten, auch um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Die Entwicklung neuer Substanzgruppen sprengt die Ressourcen der akademischen Entwicklung. Hier brauchen wir Public-Private-Partnerships. Doch es lohnt. Ich sehe die neurowissenschaftlich inspirierte Krebstherapie als eine vielversprechende neue Säule der Krebstherapie. Sie könnte nach der Krebsimmuntherapie die nächste große Sache sein. 

Wird das denn überhaupt schon genug berücksichtigt bei der Forschung zu Krebs, der nicht im Gehirn entsteht? 

Prof. Winkler: Wir wissen inzwischen, dass Nervenzell-Tumorzell-Interaktionen bei ganz vielen Krebsarten eine Rolle spielen. Bislang forschen verschiedene Fachgebiete noch zu unabhängig voneinander. Wir brauchen Leute, die sich mit Neurowissenschaften und Krebs auskennen. Die muss man sich ein bisschen backen, deshalb haben wir in Heidelberg und Harvard Ausbildungsprogramme gestartet. 

Was werden Sie mit Ihrem Anteil an den umgerechnet ca. 1,34 Millionen Euro Preisgeld anfangen?

Prof. Winkler: Meine Kollegin Michelle Monje und ich teilen den Preis und das Geld. Ich werde es für persönliche Freiräume nutzen und zehn Prozent für gemeinnützige Zwecke spenden, besonders für unsere Initiative ‚Aufstehen für Demokratie‘. Wir müssen unsere Stimme erheben, gerade auch in der Wissenschaft, um diese in einem freien Land leben zu können: Demokratie für Wissenschaft – Wissenschaft für Demokratie.

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