Molekulare Landkarte zeigt neue Therapiemöglichkeiten für krebskranke Kinder
Krebserkrankungen bei Kindern sind heute oftmals heilbar. Dennoch erleidet etwa ein Viertel der Kinder einen Rückfall. Wissenschaftler haben erstmals das genetische Repertoire kindlicher Krebserkrankungen kartiert, um neue Therapien zu ermöglichen.
Die Prognosen für krebskranke Kinder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert. Etwa 80 Prozent aller an Krebs erkrankten Kinder können heute dauerhaft geheilt werden. Dennoch bleiben Rückfälle ein drängendes Problem: Bei rund einem Viertel kehrt die Krebserkrankung nach einer Strahlen- oder Chemotherapie zurück, wovon nur ein kleiner Teil dauerhaft geheilt werden kann.
Gerade in solchen Fällen geben neue zielgerichtete Medikamente und immuntherapeutische Verfahren vielen Krebskranken Grund zur Hoffnung. Im Sinne einer personalisierten Krebstherapie setzen diese Wirkstoffe gezielt bei Mutationen im Erbgut des Tumors an oder sind bei bestimmten Mutationsprofilen besonders wirksam. „Von diesen neuen Krebsmedikamenten sind jedoch die wenigsten für Kinder zugelassen“, sagt Professor Stefan Pfister, Direktor des Präklinischen Programms am Hopp-Kindertumorzentrum am NCT Heidelberg (KITZ), Abteilungsleiter am DKFZ und Oberarzt am Universitätsklinikum Heidelberg. „Von etwa 1000 neuen Krebsmedikamenten sind bisher nur einzelne wenige in Kindern geprüft, sodass wir sie gleich einsetzen können.“ Pfister koordiniert im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) das Forschungsprogramm „Zielgerichtete Therapien“.
Kindliche Tumoren sind anders
Eine Hürde für die Entwicklung neuer Therapieverfahren in der Kinderonkologie ist unter anderem die Andersartigkeit kindlicher Tumoren: Bei Kindern entsteht Krebs meist aus embryonalen Geweben. Deshalb stehen nicht Darm- oder Lungenkrebs, sondern Leukämien, Hirntumoren sowie Tumoren der Weichteile und der Knochen ganz oben auf der Rangliste der Krebserkrankungen. Faktoren wie UV-Licht, Alkohol oder Nikotin, die die Entstehung von Krebs begünstigen, spielen bei Kindern noch keine Rolle. Die Ursachen für den kindlichen Krebs sind meist unbekannt. Einzig erbliche Komponenten sind für einen Teil der Krebserkrankungen als auslösende Faktoren bekannt.
„Molekulargenetische Analysen sind in der klinischen Routine bislang wegen der glücklicherweise kleinen Patientenzahlen jedoch eher selten, und die molekularen Ursachen von Krebs bei Kindern waren bis vor Kurzem nicht bekannt“, beschreibt Pfister das Problem. Dabei wären viele Medikamente, die bestimmte Mutationen angreifen und bereits erfolgreich bei Erwachsenen eingesetzt werden, höchstwahrscheinlich auch bei Kindern wirksam. „Wir können sie aber nicht sinnvoll anwenden, weil wir häufig gar nicht wissen, in welchen Tumoren diese Mutation überhaupt bei Kindern vorkommt.“
Molekulare Landkarte kindlicher Krebserkrankungen
Um die Chancen krebskranker Kinder durch individuell zugeschnittene Therapien zu verbessern, starteten Pfister und seine Kollegen die bislang umfänglichste molekulare Analyse kindlicher Tumortypen.
Sie untersuchten rund 1000 Tumorproben aus 24 Tumorarten und charakterisierten deren molekularen Eigenschaften. Insgesamt hat ein durchschnittlicher Tumor bei einem Kind 15-mal weniger Mutationen als der eines Erwachsenen. Das erleichtert den Forschern die Suche nach den Mutationen, die für die Krebsentstehung und -entwicklung entscheidend sind und sich möglicherweise als therapeutische Angriffspunkte eignen.
Zudem stellte sich heraus, dass etwa die Hälfte der Tumoren genetische Veränderungen aufweisen, welche potenzielle Angriffspunkte für Krebsmedikamente darstellen. Pfister sieht darin ein sehr ermutigendes Ergebnis: „Für viele dieser Angriffsstellen gibt es bereits in der Erwachsenenonkologie zugelassene Wirkstoffe und damit neue potenzielle Behandlungsmöglichkeiten für die betroffenen Patienten.“
Auch für die Früherkennung und die richtige Präventionsstrategie seien genetische Tumorprofile wichtig, betont Pfister und nennt als Beispiel das sogenannte Li-Fraumeni-Syndrom. Träger dieses Sydroms besitzen eine Mutation des Tumorsupressor-Gens TP53. Etwa die Hälfte der Betroffenen erkrankt im Alter von unter 30 Jahren an Krebs. „Wenn wir diese Patienten regelmäßig kontrollieren, können wir im Falle einer Krebserkrankung frühzeitig operieren, unter Umständen ohne das aggressive Therapien überhaupt notwendig werden.“
Anreize für die Entwicklung neuer Krebstherapien in der Industrie schaffen
Ob die in der Studie identifizierten molekularen Angriffsstellen für Krebsmedikamente auch bei jungen Patienten geeignet sind, muss sich jedoch erst noch zeigen. Die umfänglichen Datensätze und Analysen von PedPanCan haben die Forscher auf einer gemeinsamen Plattform zugänglich gemacht (www.pedpancan.com).
Die Wissenschaftler hoffen damit, auch Pharmaunternehmen zu motivieren, Krebsmedikamente bei Kindern gezielter in bestimmten Subgruppen zu testen. Schon aufgrund der aktuellen Gesetzeslage dürfte das bei den Firmen auf großes Interesse stoßen. Seit Einführung der Kinderarzneimittelverordnung von 2007 muss jedes Medikament auch bei mindestens einer pädiatrischen Indikation getestet werden. „Wenn wir konkrete Angaben liefern können, wie häufig eine Mutation bei Kindern auftritt und wie viele Patienten mit dieser Mutation rekrutiert werden können, ist das für Pharmaunternehmen ein ganz wesentlicher Baustein ihrer Planung“, betont Pfister.
Aufgrund der geringen Patientenzahlen setzen Kinderonkologen schon lange auf die überregionale Zusammenarbeit von Studienzentren. Ein eigens dafür geschaffenes bundesweites Register der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) wird sich in Zukunft intensiv für die Belange dieser Patienten einsetzen. An das Netzwerk sind auch die kinderonkologischen Zentren der DKTK-Standorte angeschlossen. „Patienten überregional den passenden Studien zuzuordnen, Tumorproben in standardisierter Qualität zu lagern und Medikamente für klinische Studien in alle Welt zu verschicken ist ein extrem hoher logistischer und administrativer Aufwand. Dafür brauchen wir dringend neue Strukturen und Studienkonzepte“, so Pfister. „Ansonsten brauchen wir zehn Jahre für die Beantwortung einer Frage, die wir in zwei Jahren hätten lösen können.“
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