Komplementärmedizin in der Onkologie
Etwa die Hälfte aller Tumorpatientinnen und -patienten nutzen während oder nach ihrer Krebstherapie Angebote der so genannten Komplementär- oder Alternativmedizin. Hier ist es wichtig, Seriosität und Wirkung einschätzen zu können.
Die „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“ bietet dazu wissenschaftlich abgesicherte Informationen. Im Mai 2024 wurde die Leitlinie nun aktualisiert.
Das Interesse an Komplementär- und Alternativmedizin ist groß, ebenso wie das angebotene Spektrum an Mitteln oder Verfahren: Angefangen bei der Einnahme von Mitteln zur Immunstärkung bis hin zu so genannten Krebsdiäten, anthroposophischer Medizin, Homöopathie oder alten Heilverfahren wie traditioneller chinesischer Medizin (TCM).
Vorsicht vor unrealistischen Heilsversprechen
Komplementärmedizin kann unterstützen, aber nicht heilen. Leider gibt es in dem Bereich auch Quacksalberei oder gar bewusste Betrügereien, bei denen versucht wird, durch unrealistische Heilsversprechen rentable Geschäfte mit der Hoffnung krebskranker Menschen zu machen. Hier bietet die Leitlinie Orientierung, als wissenschaftlich fundiertes Nachschlagewerk für onkologisches Fachpersonal. Betroffene können sich in der Patientenversion (derzeitig gültige Fassung mit Stand vom 2021) informieren, die in Kürze ebenfalls aktualisiert vorliegen wird.
Mehr Kommunikation nötig
Betroffene wollen oft selbst etwas zu ihrer Genesung beitragen. Die meisten Krebspatientinnen und -patienten wünschen sich daher Informationen und eine Einordnung zu entsprechenden Methoden und Mitteln von ihrer behandelnden Ärztin bzw. ihrem Arzt. In der Realität trauen sie sich jedoch oft nicht, das Thema von sich aus anzusprechen – aus Angst, dass diese völlig dagegen eingestellt sind. Das führt dazu, dass zusätzliche Mittel ohne Absprache eingenommen werden, in der Annahme: „Wenn es nicht nützt, schadet es zumindest nicht“. Doch das ist leider ein Trugschluss. Wie das nächste Kapitel zeigt, können sich eine ganze Reihe davon stark negativ auswirken, daher heißt es genau hinzuschauen. Die wenigsten Medizinerinnen und Mediziner jedoch erhalten Informationen dazu in ihrer Ausbildung. Daher kommt die Kommunikation zu anderen Methoden in der ärztlichen Praxis oftmals zu kurz. Genau das wollen die Autorinnen und Autoren der Leitlinie ändern.
Natürlich ≠ Sanft
Das, was man landläufig als „pflanzlich“ oder „natürlich“ bezeichnet, ist nur vermeintlich mit „sanft“ gleichzusetzen. Das sieht man daran, dass einige starke Chemotherapien auf Pflanzenstoffen basieren, wie die Taxane, die Wirkstoffe aus Eiben sind, oder Vincristin aus Immergrün. Einige Naturstoffe verstärken die Wirkung einer Chemotherapie, sodass es zu Überdosierung kommen kann. Andere können die Wirkung der Arzneien abschwächen, sodass die Therapie womöglich nicht ausreichend anschlägt. Eine Reihe von Pflanzenextrakten können zudem Organfunktionen, wie die der Leber oder der Niere, stören. Das führt zu Beschwerden, die die Ärztin oder der Arzt dann fälschlicherweise der verordneten Therapie zuschreiben. Betroffene sollten daher unbedingt mit ihrer Ärztin bzw. dem Arzt sprechen, wenn sie zusätzliche Wirkstoffe einnehmen.
Potential ergänzender (komplementärer) Maßnahmen
Nichts einzuwenden ist gegen solche Mittel, die beispielsweise die Nebenwirkungen der Chemotherapie lindern und den Organismus, die Selbstheilungskräfte und das Wohlbefinden unterstützen. Sie können helfen, dass die Chemotherapie nicht wegen starker Nebenwirkungen oder dem schwachen allgemeinen Gesundheitszustand unterbrochen oder niedriger dosiert werden muss und verbessern so die Chancen auf eine Heilung durch die Standardtherapie.
Brücke zwischen konventioneller Medizin und Komplementärmedizin
Scharlatanerie von Hilfreichem auf wissenschaftlicher Basis unterscheidbar zu machen – das ist ein Verdienst des Forschungsprojekts Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie (kurz: KOKON), das von der Deutschen Krebshilfe, Partner der Nationalen Dekade gegen Krebs, gefördert wurde.
Mehr als 13 Institutionen (vor allem Universitätskliniken, Kliniken und verschiedene Institute, z. B. für Pharmazie oder für Medienforschung) arbeiteten acht Jahre lang eng zusammen und prüften, für welche Verfahren es wissenschaftliche Daten gibt. Die Erkenntnisse aus KOKON flossen auch in die „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“ ein.
Informationen frei zugänglich
Ärztinnen und Ärzte können sich in der KOKON-Datenbank über einzelne Wirkstoffe oder Verfahren informieren sowie zu erwartende Wechselwirkungen zwischen pflanzlichen Heilmitteln, Pflanzenstoffen und onkologischen Medikamenten anzeigen lassen. Zudem gibt es ein frei verfügbares Trainingskonzept für das patientenorientierte Gespräch zu komplementärmedizinischen Therapien.
Für Menschen mit Krebs sowie deren Angehörige bietet KOKON laienverständliche Informationen. Sie können dort nach ihren Symptomen suchen und geeignete KAM-Verfahren dafür finden. Sie können aber auch die Seriosität einer ihnen angebotenen komplementärmedizinischen Behandlung gezielt überprüfen.
Persönliche Beratung
Aus dem KOKON-Projekt haben sich zudem Patientenberatungen an den vier onkologischen Spitzenzentren in Baden-Württemberg (Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm) entwickelt und etabliert. Die Kontaktdaten gibt es hier.