Navigation und Service

Was hat Pathologie mit Krebs zu tun?

Prof. Reinhard Büttner, Kongresspräsident des diesjährigen Krebskongresses, spricht kurz vor der Eröffnung über die rasante Entwicklung und Bedeutung der Pathologie in der Onkologie.

Herr Professor Büttner, Sie sind in diesem Jahr Präsident des Deutschen Krebskongresses. Welche Akzente wollen Sie hier setzen?

Box_title

Bild von Professor Doktor Reinhard Büttner Porträtbild Prof. Dr. Reinhard Büttner
© berlin-event-foto/Peter Paul Weiler

Prof. Dr. Reinhard Büttner ist Pathologe und Direktor des Instituts für Pathologie am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) an der Uniklinik Köln. Er engagiert sich unter anderem im Nationalen Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs und hat die molekulare Diagnostik und Therapie bei Lungenkrebs entscheidend mit vorangebracht.

„Fortschritt gemeinsam gestalten“ ist das kondensierte Motto des Kongresses. Man muss sich das vorstellen wie ein Dreieck: Wir haben auf der einen Seite immer dezidierter entwickelte Strukturen für die Behandlung von Patienten: die NCTs, verschiedene Arten von Krebszentren, große spezialisierte niedergelassene Praxen und einzeln tätige Onkologen. Zwischen denen bewegen sich Betroffene hin und her. Da braucht es einen ungestörten Informationsfluss. Wir müssen die funktionierenden Strukturen in der Onkologie dafür ausarbeiten.

Das Zweite: Die diagnostischen Fächer und die Pathologie haben für die Auswahl der Therapie eine enorme Bedeutung gewonnen. Alle Beteiligten müssen heute interdisziplinär zusammenarbeiten.

…warum ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Forschenden so wichtig – etwa im Rahmen des Krebskongresses oder auch der Nationalen Dekade gegen Krebs?

Heute diagnostiziert man viel gezielter, analysiert den Tumor auf verschiedenen Ebenen, um die ihn antreibenden genetischen und molekularen Veränderungen zu finden, und ihn dann möglichst mit einem zielgerichteten Wirkstoff anzugreifen. Das sind komplexe Fragestellungen und die beteiligten Fachleute treffen sich im so genannten Tumorboard, um einen gemeinsamen Therapieplan zu entwickeln. Anhand der Analysedaten wird in der Literatur geschaut, wo man solche Gensignaturen und Mutationen bei einer anderen Krebsart schon gefunden und behandelt hat und wie der therapeutische Erfolg war. Und es wird beurteilt, ob man das auf den vorliegenden Fall übertragen kann.

.… und was ist der dritte Aspekt?

Der dritte Baustein ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Patienten. Wir brauchen den informierten Patienten für die Behandlung, in unseren Forschungsprogrammen, für die Awareness und Begleitung sowie Ausbildung anderer Patienten in Hinsicht auf die Bedeutung von Vorsorgeprogrammen oder von zielgerichteten Therapien.

Diese ganzheitliche Interaktion mit dem Patienten wollen wir in den Blick nehmen auf dem Krebskongress.

Hört man Pathologie, denkt man in Bezug auf Krebs sofort an eine Untersuchung von Tumorgewebe unter dem Mikroskop. Das hat sich gewandelt. Welche Bedeutung hat das für die Patientenschaft?

Traditionell denken wir Krebs ist Krebs und wenn wir die Tumorzellen isolieren, wissen wir alles über den Krebs. Das ist sicher falsch. Krebs ist ein Organismus, der sich aus den Krebszellen aufbaut, aus den Entzündungs-, Stroma-, Nervenzellen und Gefäßen. Daher nehmen wir u.a. in den Blick, wie stark bestimmte Immunzellen in den Tumor eindringen sowie Lage und Anzahl von versorgenden Blutgefäßen, analysieren im Blut zirkulierende Tumorzellen oder deren Genom.

Die erzeugten Daten werden mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet. Der KI müssen Sie sagen, nach was sie suchen soll und ihre Ergebnisse am Ende bewerten. All das machen Pathologen.

Welche spannenden Forschungsansätze gibt es aktuell im Bereich der Pathologie?

Momentan ist die Pathologie in einer unglaublichen Wandlung und Entwicklung hin zu bioinformatisch-, IT-technisch-basierten Methoden. Die künstliche Intelligenz ist förmlich über uns hereingebrochen, wir haben die virtuelle Pathologie, die einen tiefen Blick auf das Tumor-Mikromilieu und in die Interaktion der Krebszellen mit dem Gesamtorganismus erlaubt. Wir müssen auch wissen, welche Interaktionen Krebszellen vor der Therapie schützen. Dazu muss man die den Tumor schützenden Zellen - Immunzellen, die der Tumor anlockt und umprogrammiert, ebenso Zellen aus der direkten Tumorumgebung - ins Auge nehmen.

Personalisierte Medizin ist in aller Munde. Was erwarten Sie von den nächsten Jahren? Inwieweit wird die Pathologie an weiteren Fortschritten beteiligt sein?

Ein großes Krebsforschungsprogramm ohne die Pathologie wird nicht funktionieren, weil der Beitrag der Gewebeanalyse so enorm wichtig ist.

Aus meiner Sicht gibt es zwei große Ansätze, die die personalisierte Onkologie vorantreiben werden. Wir haben die Mutationen, wir haben Proteomanalysen, wo ich bei vielen Patienten fünf oder zehn Zielstrukturen darstellen kann, um den besten Antikörper für die Therapie auszuwählen.

Lungenkrebspatienten, die keine behandelbaren Mutationen haben, bekommen Immuntherapien oder Chemotherapie. Bei den Immuntherapien haben wir das noch nicht so elaboriert. Doch wir werden mehr und mehr Antikörper in die Hand bekommen, die Immuntherapien ermöglichen bis hin zur personalisierten Tumorvakzine. Es wird Marker geben, um aus 30 bis 40 kombinatorischen Immuntherapien die besten Antikörperkombinationen für einen Patienten auszuwählen; dann bekommt der eine die Option 1 und 7, der zweite vielleicht 19 und 32.

Was wünschen Sie sich für die Ausbildung junger Berufskolleginnen und -kollegen? Sehen Sie hier Verbesserungspotenzial?

Wir brauchen mehr Freiräume für die klinische translationale Forschung. Zeit für Forschung und Krankenversorgung muss gleichwertig nebeneinanderstehen. In Amerika gibt es Vorgaben, dass ein Mitarbeiter 30 Prozent oder 50 Prozent oder 70 Prozent für Forschung einsetzen darf, und das wird eingehalten. In Deutschland ist in aller Regel Krankenversorgung „first“, und die Forschung muss dann am Wochenende gemacht werden.

Um das zu ändern, braucht es richtige Programme, wo klinisch tätige Wissenschaftler Freistellungen bekommen, wo sie qualifiziert werden. Wir haben noch einen sehr traditionellen Fächerkanon, IT-Wissenschaften sind nicht die Priorität im Medizinstudium. Da müssen wir dem akademischen Nachwuchs die Chance geben, sich auszubilden und genügend Zeit, um das umzusetzen. Und das ist im Moment, glaube ich, in Deutschland nicht die Priorität.

Wie ist Ihre weitere Vision für das Berufsfeld?

Der Pathologe der Zukunft wird ein Computer Scientist werden. Sie werden in Zukunft auch keine Bücher mehr haben und alles Wissen aus Datenbanken ziehen. Die großen Datenmengen aus der Analytik sind heute in internationalen Repositorien zu finden. Wenn Sie etwas Neues entdecken, ziehen Sie sich diese Datensätze herunter und schauen, welche Rolle könnte mein Gen oder mein Signalweg bei diesem Tumortyp spielen.

Das ist die Zukunft: Der zukünftige Pathologe wird viel mehr am Computer sitzen als am Sektionstisch oder beim Zuschneiden und Einbetten. Wir werden sehr viel Daten vergleichen und extrahieren müssen.

Partner und Unterstützer