Navigation und Service

„Ich möchte dazu beitragen, dass Krebsbetroffene die Kraft der Bewegung für sich nutzen.“

Körperliche Aktivität lohnt sich – auch und gerade bei einer Krebserkrankung. Eine EU-geförderte Studie zeigt dies nun auch für Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs. Ein Gespräch mit der beteiligten Forscherin Professorin Karen Steindorf vom Dekadenpartner DKFZ.

Box_title

Frau Professor Karen Steindorf Frau Professor Karen Steindorf
© DKFZ/Tobias Schwerdt

Professorin Karen Steindorf ist Leiterin der Abteilung Bewegung, Präventionsforschung und Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Sie studierte Statistik mit dem Schwerpunkt Theoretische Medizin in Dortmund und Sheffield, UK.


Ihre beruflichen Stationen umfassten eine Tätigkeit am amerikanischen National Cancer Institute sowie in der pharmazeutischen Industrie. Im Jahr 1999 kehrte sie ans DKFZ zurück und habilitierte 2007 im Fach Epidemiologie und Medizinische Biometrie.

Frau Prof. Steindorf, Sie erforschen seit vielen Jahren den Einfluss von körperlicher Aktivität auf Krebs. Wie kamen Sie zu diesem Thema? 

Karen Steindorf: Früher hieß es, Krebserkrankte sollen sich schonen. Das wurde aber nicht auf wissenschaftlicher Grundlage empfohlen, sondern weil man das einfach intuitiv annahm. Hier sieht man, wie wichtig es ist, vorgefertigte Denkmuster zu hinterfragen und sie in Studien zu überprüfen. Unsere Arbeit hat zu dem Wissen beigetragen, dass das Gegenteil der Fall ist: Gezielte körperliche Bewegung ist eine geeignete Maßnahme, um Erschöpfung (Fatigue) und anderen belastenden Beschwerden während und nach einer Krebserkrankung zu begegnen. 

Sie waren aktuell maßgeblich an einer EU-Studie für Frauen mit metastasiertem Brustkrebs beteiligt. Dabei haben Sie die Probandinnen zufällig aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt über neun Monate ein strukturiertes Trainingsprogramm, die andere nicht. Was kam heraus?  

Karen Steindorf: Dass körperliches Training Patientinnen in frühen Brustkrebsstadien hilft, war bereits durch Studien belegt. Wir wollten das für fortgeschrittene Erkrankungen prüfen. Gerade in dieser Situation brauchen wir mehr Optionen, um die Lebensqualität der Betroffenen positiv zu beeinflussen. Das strukturierte Trainingsprogramm führte zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Lebensqualität und einer signifikanten Abnahme der Fatigue. Beschwerden wie Schmerzen und Kurzatmigkeit nahmen im Verlauf der Studie deutlich ab. Auch die Fitness-Tests fielen in der Trainingsgruppe signifikant besser aus als in der Kontrollgruppe.

Wie genau sah das Trainingsprogramm aus?

Karen Steindorf: Der Kontrollgruppe haben wir die generelle WHO-Empfehlung an die Hand gegeben, sich mindestens 150 Minuten pro Woche zu bewegen, beziehungsweise so viel, wie es ihre Fitness zulässt. Die Trainingsgruppe erhielt über neun Monate zusätzlich zu dieser Empfehlung noch zweimal wöchentlich ein an ihren körperlichen Zustand individuell angepasstes Training. Angeleitet durch Sport- oder Physiotherapeuten wurden Gleichgewicht, Muskelkraft und Ausdauer trainiert. In den letzten drei Monaten konnten die Frauen eine der beiden Trainingseinheiten auch zu Hause mit Hilfe einer App durchführen.

Gibt es weitere Krebsarten, bei denen es wissenschaftliche Belege für den Nutzen von körperlicher Aktivität gibt? 

Karen Steindorf: Ja, der Nutzen wurde für zahlreiche Krebserkrankungen nachgewiesen, wobei Brustkrebs bislang am besten erforscht ist. Weitgehend unabhängig von der Art der Erkrankung gelten die Verbesserung der Lebensqualität und der körperlichen Funktionsfähigkeit sowie die Linderung von Erschöpfung, Symptomen einer Depression, Lymphödemen und Ängstlichkeit als erwiesen. Für viele weitere Einflüsse, wozu auch die allgemeinen Überlebenschancen gehören, gibt es Hinweise, die derzeit genauer erforscht werden. Es ist ein unglaublich breites Spektrum von positiven Effekten. Daraus leitet sich ja auch die Empfehlung ab, dass alle Krebsbetroffenen so früh wie möglich (wieder) aktiv sein sollen.

Und was empfehlen Sie Patientinnen, die nicht an einem solchen Programm teilnehmen können? Ist es nicht schwierig, zu trainieren, wenn es einem schlecht geht — wie können sich diese Menschen motivieren? 

Karen Steindorf: Zum Glück gibt es immer mehr qualifizierte Angebote für Krebsbetroffene und auch immer mehr Ärztinnen und Ärzte, die ihre Patientinnen auf diese wichtige Begleittherapie hinweisen, auch wenn sicherlich noch nicht alle Regionen in Deutschland hinreichend abgedeckt sind. Ganz ohne fachkundigen Rat würde ich nicht anfangen, aber danach gibt es für viele Krebsbetroffene schon die Option, auch ohne eine Gruppe zu trainieren.

Der Anfang ist am schwersten. Da braucht man einen konkreten Plan, wie man Sport und Bewegung in den Alltag integrieren kann, zum Beispiel parallel zu einer regelmäßigen Nachrichtensendung. Was sich als nicht praktikabel erweist, sollte man Zug um Zug anpassen. Die meisten merken aber nach kurzer Zeit, wie gut ihnen das Training tut. Das ist wie nach einer anderen Erkrankung, man muss wieder mühselig und klein anfangen, sich herantasten. Der Körper adaptiert sich, baut Muskeln und Ausdauer auf. Dann fällt es immer leichter und macht sich auch im Alltag positiv bemerkbar. Wenn man weiß, dass sich damit die eigene Lebensqualität verbessert und die Beschwerden verringern, ist das doch ein schöner Ansporn. Ich denke, wir haben mit unserer Studie erneut dazu beigetragen, mehr Krebserkrankte dazu zu motivieren, die Kraft der Bewegung für sich zu nutzen.

Partner und Unterstützer