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Brustkrebsmonat Oktober: Aktuelles aus der Forschung

Auf dem diesjährigen Europäischen Krebskongress wurde ein weiterer Anstieg der Erkrankungszahlen prognostiziert, auf das ungenutzte Potential der Prävention hingewiesen sowie eine Fülle von wegweisenden Studien präsentiert – u.a. zu Brustkrebs. 

Der größte Europäische Krebskongress, der jährlich von der European Society for Medical Oncology (ESMO) ausgerichtet wird, fand in diesem Jahr vom 16. bis zum 21. September virtuell statt. Anlässlich des Brustkrebsmonats Oktober widmet sich der Bericht der häufigsten Krebserkrankung der Frau, dem Mammakarzinom. Diese Diagnose wird in Deutschland jährlich bei etwa 70.000 Frauen gestellt; und leider versterben 19.000 Betroffene jährlich an den Folgen dieser Erkrankung.

Prof. Dr. med. Christian Jackisch, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Sana Klinikum Offenbach und Präsident der Hessischen Krebsgesellschaft e.V., fasste auf dem ESMO den aktuellen Stand der Brustkrebsforschung und -behandlung zusammen.

Großes Präventionspotential bei Brustkrebs

Bei der Entstehung von Brustkrebs spielt die Einnahme von Hormonersatzpräparaten gegen Wechseljahrsbeschwerden eine Rolle, deren Bedeutung aber in den letzten Jahren abgenommen habe. Viel wichtiger sei die Adipositas (starkes Übergewicht) bei älteren Patientinnen, so Jackisch. Sie zähle neben der familiären Disposition zu den wesentlichen Ursachen von Brustkrebs.

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Steigende Krebszahlen und das Potential der Prävention

Auf das enorme Potential der Prävention in der Onkologie wies auch Dr. Manola Bettio von der Europäischen Kommission hin. Sie forscht am Join Research Centre in Italien und hat eine neue Prognose erstellt, die auf dem ESMO präsentiert wurde:

Demnach wird bei gleichbleibender demografischer Entwicklung die Zahl der Krebsneuerkrankungen in der EU- und den EFTA-Ländern (Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz) bis zum Jahr 2040 um rund 21 Prozent ansteigen. Das hieße, dass in dieser Region dann nicht wie bisher 2,8 Millionen Menschen sondern 3,4 Millionen jährlich neu erkranken und statt heute 1,3 Millionen pro Jahr dann 1,7 Millionen Menschen an Krebs sterben würden – ein Zuwachs von ca. 32 Prozent.

Ihr Appell: “Der erste und einfachste Weg, die künftige Krebslast in ganz Europa zu verringern, ist die eine gute Aufklärung und die Prävention.“ Könnte beispielsweise der Anstieg des Übergewichts in den Industrienationen eingedämmt werden, ließen sich viele Krebsneuerkrankungen verhindern.

Früherkennung rettet Leben

Als großen Erfolg bezeichnete Jackisch das Mammographie-Screening. Langzeitdaten zeigten, dass nach dessen Einführung deutlich weniger Frauen an Brustkrebs sterben. Grund: Früh entdeckt befindet sich die Krankheit meist in einem noch gut behandelbaren Stadium, sodass mehr Frauen geheilt werden. Auch die Therapie muss dann weniger aggressiv sein und ist dadurch weniger belastend.

Das Mammographie-Screening

ist Bestandteil des gesetzlich verankerten Krebsfrüherkennungsprogramms in Deutschland. Die ersten Screeningeinheiten nahmen 2005 ihre Arbeit auf, seit 2009 ist das Programm in Deutschland flächendeckend umgesetzt. Seitdem steht die Untersuchung symptomlosen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre kostenfrei zur Verfügung.

Video zum Mammographiescreening Informationsfilm zum Mammographie-Screening: Zum Video (Youtube) in verschiedenen Sprachen
Informationsfilm zum Mammographie-Screening: Zum Video (Youtube) in verschiedenen Sprachen © Kooperationsgemeinschaft Mammographie

Bei der Mammographie wird die Brust geröntgt. Dabei entdeckte Veränderungen können zahlreiche Ursachen haben – die meisten sind ungefährlich. Die Mammographie kann nicht zwischen gutartig und bösartig unterscheiden, daher schließen sich bei einem auffälligen Befund eine minimal invasive Gewebsentnahme an.

Aufgrund neuer Daten und daraus resultierenden Empfehlungen in den neuen EU-Leitlinien zur Brustkrebsfrüherkennung und Diagnostik hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im März 2021 Beratungen aufgenommen, ob das Mammographie-Screening auf die Altersgruppen 45 bis 74 Jahren erweitert sollte und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit damit beauftragt, eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen.

Quellen siehe WEITERE INFORMATIONEN am Textende.

Abklärungsuntersuchung Mammographie-Screening-Programm Wird im Rahmen des Screening-Programms auf einer Mammographie-Aufnahme ein verdächtiger Befund entdeckt, wird die Frau zu einer weiteren Untersuchung eingeladen. Der verantwortliche Arzt der Screening-Einheit bespricht mit der Frau dann das weitere Vorgehen und berät sie. (Symbolbild)
Wird im Rahmen des Screening-Programms auf einer Mammographie-Aufnahme ein verdächtiger Befund entdeckt, wird die Frau zu einer weiteren Untersuchung eingeladen. Der verantwortliche Arzt der Screening-Einheit bespricht mit der Frau dann das weitere Vorgehen und berät sie. (Symbolbild) © Kooperationsgemeinschaft Mammographie

Genetische Testung spielt wichtige Rolle

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Die Anpassung der Früherkennungsmaßnahmen an bestimmte Personengruppen nennt man Risikoadaptierte Früherkennung.


Mit dem Thema beschäftigt sich u.a. die AG Prävention der Nationalen Dekade gegen Krebs.

Beim erblich bedingten Brustkrebs hat die genetische Beratung und Testung einen hohen Stellenwert. In

betroffenen Familien werden mutierte Brustkrebsgene (BRCA1 und BRCA2) weitergegeben, die das Krebsrisiko stark erhöhen. Durch eine frühzeitige Analyse können Mutationsträgerinnen von intensivierten Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen profitieren, ebenso betroffene Patientinnen von neuen Therapien.

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Personalisierte und interdisziplinäre Behandlung gewinnt an Bedeutung 

Eine verbesserte Diagnose- und Behandlungsmethoden tragen dazu bei, dass weniger Frauen an ihrer Brustkrebserkrankung sterben. Einen großen Anteil daran hat die individualisierte Therapie, bei der die Erkrankung anhand bestimmter Merkmale des Tumors in Untergruppen (Subtypen) eingeteilt wird. Das wird durch die Testung des Tumors auf molekulare und genetische Veränderungen möglich. Hier betont Jackisch, dass das molekulare Management beim Mammakarzinom in der praktischen Routine angekommen sei und überall niederschwellig angeboten werden müsse.

Ohne diese Bestimmung sollte in einer fortschrittlichen Brustmedizin keine Therapie durchgeführt werden, sagt der Brustkrebsexperte.

Erkrankungsstadium entscheidet über Therapieziele

Nach wie vor ist das Mammakarzinom, wenn es Metastasen gebildet hat, nicht heilbar. Hier liegt der Fokus der Therapie auf der Linderung von Symptomen und Verlängerung der Überlebenszeit. Im lokal begrenzten, lokal fortgeschrittenen und im lokal rezidivierten Stadium steht die Heilungsabsicht an vorderer Stelle.

Bei der Erstdiagnose kommt der Operation eine große Bedeutung zu, sagt der Onkologe, der u.a. auch Senior-Mamma-Operateur ist. Die Radiotherapie nehme an Bedeutung zu, da sie prognoseabhängig angepasst werden kann. Strahlentherapeutinnen und -therapeuten müssten von Beginn an in die Therapieplanung mit einbezogen werden. Besonders bei einem Rückfall sieht Jackisch ihren Einbezug als unverzichtbar an, um sinnvolle patientenorientierte Entscheidungen zu treffen.

Zur Behandlung gibt es zudem eine Reihe an Medikamenten mit antihormonellen, zytostatischen, zielgerichteten und osteoprotektiven (knochenschützenden) Wirkstoffen, die je nach Subtyp eingesetzt werden können.

Bei der Therapieplanung seien interdisziplinäre Tumorkonferenzen heute das relevante Instrument, hebt Jackisch hervor. Nach seiner Einschätzung sind sie zentrales qualitätsgesteuertes Bindeglied zwischen Diagnostik und Therapie und der sektorenübergreifenden interdisziplinären Arbeit in Kliniken, medizinischen Versorgungszentren und Praxen. „Hier ist die Qualität in Deutschland exzellent“, sagt der Brustkrebsexperte.

Patientinnen empfiehlt Jackisch die Behandlung in einem der 280 zertifizierten Brustzentren, da hier der Austausch in interdisziplinären Teams gegeben sei.

Auch in der Behandlung Trend: Die Risikoadaption

Die zentrale Frage, die Forschung wie Therapierende derzeitig beschäftige sei, wie aggressiv behandelt werden muss. Eine Therapie mit stärkerer Wirkung erhöht bei aggressiven Verlaufsformen die Erfolgsaussichten, hat aber auch ein höheres Risiko für Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen. Je nach Risiko sind Behandlungen mit niedrigerer Intensität oder Dosis ausreichend, um den Krebs zu bekämpfen.

Eine relevante Frage bleibt: Soll der Operation eine systemtherapeutische Therapie vorangestellt werden, oder nicht? Wie radikal soll operiert werden? Sollen Lymphknoten in den Achseln entfernt oder zunächst nur eine Sentinel-Knoten-Biopsie und wann keine weitere Therapie durchgeführt werden? Die Kenntnis darüber, wie sich der Krebs in der Achselhöhle ausgebreitet hat, sei wichtig in der Interaktion mit den Strahlentherapeutinnen und -therapeuten, um im interdisziplinären Tumorboard eine prognoseorientierte Bestrahlungsplanung festzulegen.

Um die Aggressivität des Tumors zu ermitteln, bedient man sich auch so genannter Biomarker. Wichtig bei Brustkrebs ist u.a. der Proliferationsmarker Ki-67. Seine Bestimmung ist mitunter relevant, um bei hormonabhängigen Karzinomen zu entscheiden, ob nach der OP noch eine (adjuvante) Chemotherapie nötig ist.

Ki67 - Marker für die Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors

Ki-67 ist ein Protein, das sich nur auf der Zelloberfläche von Zellen befindet, die sich gerade teilen. Je nachdem ob ein hoher, mittlerer oder niedriger Ki67-Wert vorliegt, lässt sich auf die Zellteilungsaktivität und damit auf die Aggressivität schließen, mit der der Krebs wächst. In aktuellen wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass besonders bei Tumoren mit hohen Ki-67 Werten eine Chemotherapie sinnvoll ist, auch wenn zusätzlich die beiden Hormonrezeptoren für Östrogen und Progesteron positiv sind und der HER2-Rezeptor-Status negativ bestimmt wurde. Eine Chemotherapie kann mit unangenehmen Nebenwirkungen einher gehen, daher sollte ihr Einsatz gut begründet und gegenüber einer alleinigen antihormonellen Behandlung bei diesen Karzinomen abgewogen werden.

Prof. Jackisch auf dem ESMO Prof. Jackisch bei der abschließenden Expert:innendiskussion zu den Studienhighlights 
Prof. Jackisch bei der abschließenden Expert:innendiskussion zu den Studienhighlights  © ESMO 2021/C. Jackisch

Für die verschiedenen Situationen bei Brustkrebs und die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen erstellt die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) Empfehlungen und schematische Pläne, mithilfe derer Ärztinnen und Ärzte die passende evidenzbasierte Therapie für jede Patientin auswählen können.

„Es braucht Prävention, Testung und ein zielgerichtetes Handeln“, schließt Jackisch seinen Vortrag zum aktuellen Wissensstand bei Brustkrebs ab. „Dazu werden die Ergebnisse der auf dem Kongress präsentierten Studien beitragen“, ist er sich sicher.

Krebsforschung funktioniert

Auch der Sprecher der ESMO, Dr. Antonio Passaro, bekräftigt die Hoffnung auf weitere Fortschritte durch die Forschung: Trotz Pandemie „haben wir eine Wiederbelebung der onkologischen Forschung erlebt, die sich in einer Zunahme der eingereichten Abstracts und praxisverändernden Daten widerspiegelt, die beim ESMO-Kongress präsentiert wurden.“

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