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„Wer aktiv ist, senkt das Krebsrisiko um bis zu 30 Prozent!“

Wie beugt Bewegung Krebserkrankungen und Rückfällen vor? Und wie viel Sport muss sein? Ein Gespräch mit dem Sportwissenschaftler Freerk Baumann.

Herr Professor Baumann, kann man dem Krebs davonlaufen?

Ja! In der Primärprävention ist es wissenschaftlich belegt, dass ein gesunder Lebensstil 40 Prozent aller Krebserkrankungen verhindern könnte, allein durch Bewegung lassen sich 6 Prozent der Neuerkrankungen verhindern.

Und auch nach einer Krebsbehandlung ist es nicht zu spät: Regelmäßige körperliche Aktivität reduziert das Rückfallrisiko bei den häufig vorkommenden Krebserkrankungen der Prostata-, des Darms- und der Brust um bis zu 30 Prozent. Allerdings lässt sich das bislang nur aus Beobachtungsstudien ableiten, was noch kein wissenschaftlicher Beleg ist.

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Prof. Freerk Baumann ist Experte für Bewegungswissenschaften in der Onkologie und gilt auf diesem Gebiet als Pionier.

Er studierte an der Deutschen Sporthochschule in Köln Sportwissenschaft mit den Schwerpunkten Rehabilitation und Sportmedizin und habilitierte sich dort 2015 zum Thema „Körperliche Aktivität bei onkologischen Erkrankungen“.

2016 wechselte Baumann ans Centrum für Integrierte Onkologie an der Uniklinik Köln (CIO) und gründete die Arbeitsgruppe „Onkologische Bewegungsmedizin“.

Wie kann Sport überhaupt gegen Krebs helfen? 

Es werden verschiedene Mechanismen diskutiert, wie Krebs entsteht. Eine Theorie ist: Chronische Entzündungen, wie sie im Bauchfett vermehrt auftreten, überfordern das Immunsystem, dem dann bösartige Zellen durchschlüpfen können. Bewegung dagegen hat eine anti-entzündliche Wirkung und entlastet das Immunsystem. Zudem weiß man, dass bestimmte Krebserkrankungen durch ein Zuviel an bestimmten Hormonen begünstigt werden. Das gilt auch für Wachstumsfaktoren, die ebenfalls im Bauchfett produziert werden und die Insulinproduktion ankurbeln. Insulin sorgt dafür, dass sich Zellen vermehrt teilen, wodurch auch bösartige Zellen stärker wachsen können. Zudem werden u.a. immunologische Aspekte diskutiert sowie die Rolle der freien Radikale bzw. Radikalenfänger und der Epigenetik.

Bewegung hilft also, Krebs vorzubeugen. Welche weiteren Effekte gibt es?

Bewegung kann die Nebenwirkungen der Behandlung vermindern, zum Beispiel der Chemo-, Strahlen-, Immun- oder Antihormontherapie. Da hilft sie zum Beispiel gegen Übelkeit. Es gibt verlässliche Belege dafür, dass Bewegung einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität und Mobilität der Betroffenen hat. Auch eine Polyneuropathie verbessert sich – das ist eine Schädigung von Nervenfasern, die zu Schmerzen, Kribbeln oder verminderter Wahrnehmung in den Gliedmaßen bzw. der Haut führt; ebenso wird eine Fatigue gelindert, ein bei und nach Krebs auftretendes Erschöpfungssyndrom.

Wie viel muss man sich bewegen, damit es hilft? Und welche Art von Sport bringt was?

Nicht die Art der Bewegung ist entscheidend, sondern die Intensität. Es sollte etwas anstrengend sein, sodass man langsam ins Schwitzen kommt und sich die Atemfrequenz erhöht. Man sollte sich aber dabei noch unterhalten können. Mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich, zusammengenommen Minimum zweieinhalb Stunden, sollte man moderat körperlich aktiv sein. Das senkt das Risiko für sieben Krebsarten um 20 bis 30 Prozent: Brust-, Dickdarm-, Nieren-, Blasen- und Magenkrebs sowie Speiseröhren- und Gebärmutterschleimhautkarzinom.

Welche Rolle spielt Übergewicht?

Auf Kölsch könnte man sagen: Hat man nur so ein bisschen Wampe – also Bauchansatz –, ist aber körperlich aktiv, dann ist alles okay. Da hat der Schlanke, der faul ist und sich nicht bewegt, ein höheres Risiko! Das ist die gute Botschaft. Aber bei einer Adipositas ab 30 BMI muss man etwas tun.

Sie sind Sportwissenschaftler an der Uniklinik Köln und Inhaber der ersten Stiftungsprofessur für onkologische Bewegungsmedizin. Ein ungewöhnliches Fach – wie kam es dazu?

Bundesweites Projekt "Bewegung gegen Krebs"

Viele wären gerne aktiver, wissen aber nicht, wie. Hier setzt die Initiative „Bewegung gegen Krebs“ der Deutschen Krebshilfe, des DOSB und der Deutschen Sporthochschule Köln an. Sie will Freude an regelmäßiger Bewegung und Sport vermitteln sowie Tipps und Hilfen für den Einstieg in ein sportlich aktiveres Leben geben. Bestell- und Downloadmöglichkeiten für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren: www.bewegung-gegen-krebs.de

Kein Land hat so frühzeitig praktische Erfahrungen mit der Bewegungstherapie gesammelt – Deutschland ist hier Vorreiter. Schon in den 70er-Jahren gab es Untersuchungen dazu. Die Professur war eine logische Konsequenz aus der Zunahme der wissenschaftlichen Belege für ihre Wirksamkeit. Keine nicht-medizinische Maßnahme wirkt nachweislich so vielfältig gegen Krebs und deren Auswirkungen und ist zugleich evidenzbasiert wie die Bewegungstherapie! Die Wirkung zeigt sich auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene.

Mitte 2021 traten Sie die Professur an. Wer stiftet diese – und warum?

Durch die vielen wissenschaftlichen Arbeiten und Erfahrungen kooperieren die Uniklinik Köln, die Deutsche Sporthochhochschule Köln und die Deutsche Krebshilfe (DKH). Ein prominenter Befürworter der innovativen Professur war auch Prof. Michael Hallek. Die DKH wurde Stifter, um offene wissenschaftliche Fragen zu klären, die Uniklinik Köln übernimmt die Anschlussförderung. Das war ein Prozess von 10 Jahren, bis es endlich begann.

Was ist Ihre Vision, was möchten Sie mit Ihrer Forschung weiter voranbringen?

Ich möchte mit meiner Arbeit wissenschaftlich untermauern, dass Bewegung das Wiederauftreten von Krebs verhindern kann. Aber auch, dass Bewegungstherapie die Wirksamkeit einer Therapie sowie die Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Meine Vision ist es, die Bewegungstherapie in der Onkologie, neben anderen Behandlungsformen, gesetzlich zu verankern. Jeder Krebspatient sollte Zugang und einen Rechtsanspruch auf onkologische Bewegungstherapie haben. Zurzeit sind wir hier von Flächendeckung weit entfernt. Ein Schritt in die Richtung wären ein onkologisches Versorgungsmodell und die Ausbildung von Sport- und Bewegungstherapeuten. Einige Krankenkassen übernehmen das schon — das muss in die Regelversorgung! Ich koordiniere die Erstellung der S3-Leitlinie zur „Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen“, für die wir derzeit Daten aus 482 Studien/Publikationen auswerten. Publiziert wird sie voraussichtlich 2025. Das wird das Thema in der Praxis auf eine andere Ebene heben.

Herr Professor Baumann, vielen Dank für das Gespräch!

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