Aufklärung der vielfältigen Veränderungen in Krebszellen
Big Data-Projekt: In der bislang umfassendsten Studie zu krebstypischen Veränderungen im Tumorgenom konnten Forschende eine riesige Ressource an Referenzdaten schaffen. Dies hilft dabei, das Krebsgeschehen besser zu verstehen und behandeln zu können.
Das Internationale Krebsgenomkonsortium (ICGC), an dem auch das Deutsche Krebsforschungszentrum, ein Partner der Nationalen Dekade gegen Krebs, beteiligt ist, hat mithilfe bioinformatischer Methoden in der Studie „Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes“ (PCAWG) einen Katalog von krebsspezifischen Veränderungen in Tumorzellen erstellt. Damit gelang es den Forschenden, das grundlegende Verständnis von Krebs im Zusammenhang mit Erbgutveränderungen erheblich zu verbessern.
Zusammenhang Erbgut und Krebs
Die Erbinformation (das Genom) eines Menschen befindet sich ähnlich wie eine Bauanleitung als DNA in den Körperzellen. Dabei beinhalten manche Abschnitte der DNA die Information für Produkte, wie Proteine, ein anderer Teil z.B. Information über die Ablesehäufigkeit von Genen. Proteine sind die Arbeiter im Zellstoffwechsel und sorgen über verschiedene Wege auch für das Wachstum und die Teilung der Zelle.
Teilt sich eine Zelle, wird die gesamte DNA vervielfältigt und an die Tochterzellen weitergegeben. Durch verschiedene Einflüsse kann es dabei zu Veränderungen im Erbgut (Mutationen) kommen. Manchmal wird dabei die auf der DNA abgelegte Information so verfälscht, dass sich das (Wachstums-)Verhalten der Zelle verändert. Im Fall der Steigerung der Zellteilung kann aus einer normalen Körperzelle eine Krebszelle werden. Solche Mutationen bezeichnet man als „Treiber-Mutationen“; sie treiben das Krebsgeschehen an. Jeder Krebstumor verfügt über einen ganzen Pool dieser Erbgutveränderungen.
Welche davon in einem Tumor vorliegen und von ihm genutzt werden, kann von Krebsart zu Krebsart unterschiedlich sein. Auch bei derselben Krebsart kann der individuelle Tumor ganz unterschiedliche Stoffwechselwege zur Beschleunigung der Zellteilung nutzen, um zu wachsen.
Die Vision: Eine personalisierte Therapie für jeden Krebserkrankten
Weiß man, welche Veränderungen bei einem Erkrankten vorliegen und wie sie sich auf das Wachstumsverhalten seines Tumors auswirken, eröffnet das die Möglichkeit, mit zielgerichteten Medikamenten genau an dieser Stelle der Zell-Signalwege anzugreifen. Das ist inzwischen bei einigen Krebsarten wie Brust- oder Lungenkrebs gängige Praxis, doch noch steht nicht für jede Krebsart oder gefundene Veränderung ein entsprechender Wirkstoff zur Verfügung.
Mit mehr Wissen über die krankheitsrelevanten Veränderungen und die damit verbundenen Prozesse in Krebszellen können personalisierte Therapien (weiter-)entwickelt werden.
Bisher umfassendste Studie über Krebsgenome
Um hierüber mehr Erkenntnisse zu gewinnen, hat ein internationales Team aus über 1300 Forschenden im Rahmen des Pan-Cancer-Projekts Tumorgenome von mehr als 2.600 Patientinnen und Patienten mit insgesamt 38 verschiedenen Krebsarten erfasst und mit bioinformatischen Methoden auf ihre krankheitsrelevanten Abweichungen hin analysiert und klassifiziert.
Sie verglichen dafür die Gendaten der Patientinnen und Patienten auf Ähnlichkeiten und konnten z.B. aufdecken, welche Veränderungen sich nur bei bestimmten Tumorarten finden und welche bei vielen gleichermaßen auftreten und somit einen universelleren Angriffspunkt für die Behandlung von Krebs bieten.
Die Ergebnisse der Pan Cancer-Studie
Die Analysen bestätigten die Vermutung, dass jedes Krebsgenom gleich mehrere Treiber-Mutationen aufweist (im Mittel vier bis fünf), von denen sich erst 20 Prozent mit heute bereits vorhandenen zielgerichteten Medikamenten behandeln lassen. Mit der Kenntnis der relevanten Treiber-Mutationen lässt sich besser abschätzen, welche Krebsarten mit welchen Wirkprinzipien oder Kombinationen daraus am besten angegriffen werden können und wo noch Bedarf in der Medikamentenentwicklung besteht.
Bei etwa fünf Prozent der analysierten Krebsfälle fanden sich keine tumortreibenden Mutationen. Die Forschenden vermuten, dass es noch weitere, seltene krebsfördernde Veränderungen gibt, die bislang nicht erkannt wurden. Diese könnten sowohl das Erbgut als auch Regulationsprozesse auf nicht-genetischer Ebene betreffen.
Ererbte Mutationen (Keimbahn-Mutationen) in krebstreibenden Genen fanden die Forscherteams in 17 Prozent aller untersuchten Fälle. Mit diesem Wissen könnte bei Personen mit familiär erhöhtem Risiko gezielt nach bestimmten Keimbahn-Mutationen gesucht und eine risikoadaptierte Früherkennung angeboten bzw. präventive Maßnahmen entwickelt werden.
Bisherige Forschung hatte sich vor allem auf das eine Prozent des Genoms konzentriert, das als Bauanleitung für Proteine dient. Die vorliegende Studie analysierte nun auch die viel umfangreicheren DNA-Regionen, die regulatorischer Natur sind. Mehr Kenntnis über die Auswirkungen von Mutationen in diesen Bereichen, sowie das Wissen um deren Häufigkeit liefern, Anhaltspunkte über die Relevanz solcher Veränderungen im Krebsgeschehen und eröffnen damit weitere Ansätze für personalisierte Therapien.
Den Forschenden gelang es zudem, Schlüsselereignisse in der Lebensgeschichte eines Tumors, die zu Mutationen geführt haben, mit speziellen Methoden nachzuverfolgen. Sie wiesen nach, dass viele genetischen Veränderungen bereits Jahre oder Jahrzehnte vor dem Ausbruch der Krankheit entstanden waren. Hierdurch öffnen sich Fenster für die Krebsfrüherkennung.
Gesamtbild von Tumorveränderungen
Die Ergebnisse wurden in 23 Fachpublikationen veröffentlicht. Alle Daten wurden zudem in eine der wissenschaftlichen Community offenstehende Referenzdatenbank eingespeist. Ärztinnen und Ärzte können hier prüfen, ob sich Mutationen, die sich bei den von ihnen Behandelten auffinden lassen, auch bei anderen Erkrankten zeigten. So können sie auf bereits vorhandene Erfahrungen bei der Behandlung zurückgreifen, z.B. ob Betroffene eher auf Medikament A oder B ansprechen.