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Alles eine Frage der Perspektive

Cindy Körner ist Brustkrebsüberlebende, Patientenvertreterin und Krebsforscherin. Wir sprechen mit ihr über die verschiedenen Blickwinkel, die sie vereint und was sie als Patientenvertretende im NCT-Patientenforschungsrat erreichen will.

Frau Körner, Sie sind Krebsforscherin und mussten vor viereinhalb Jahren feststellen, dass Sie selbst betroffen sind. Wie hat die Diagnose Ihre Perspektive als Forscherin verändert?

Dr. Cindy Körner: Ich mache präklinische Forschung, arbeite also an Zellen. Über das Rückfallvorbeugende Tamoxifen hatte ich oft in Publikationen gelesen, es werde generell „gut vertragen“. Als ich es selbst nahm, konnte ich vor Hitzewallungen nicht schlafen, meinen Alltag nicht mehr bewältigen. Andere Frauen nehmen 20 Kilo zu, ohne mehr zu essen. In Studien bedeutet „gut verträglich“ in erster Linie, dass keine lebensbedrohlichen Nebenwirkungen auftreten. Das war mir nicht bewusst.

Sie nehmen aktuell an der im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs geförderten Studie SURVIVE zur Brustkrebsnachsorge teil. Warum und mit welchen Herausforderungen ist das für Sie persönlich verbunden?

Dr. Cindy Körner: SURVIVE setzt an der großen Angst der Patientinnen vor einem spät erkannten Rezidiv an. Ich hoffe, im experimentellen Arm der Studie zu sein. Nach der Blutentnahme habe ich immer Angst, dass etwas gefunden wird. Wenn ich nicht angerufen werde, frage ich mich, ist das jetzt gut oder bin ich „nur“ im Kontrollarm?
Forschende denken in anderen Kategorien; als Patientin betrifft es mich am eigenen Leib. Daher profitieren Studien, wenn Betroffene schon vor Beginn ihre Sicht einbringen können.

Was war Ihre Motivation, Patientenvertreterin zu werden?

Dr. Cindy Körner: Im Patientenforschungsrat des NCT Heidelberg kann ich als Sprecherin Wissenschaft und Patient-sein verbinden. Ich möchte bei Forschenden verankern, dass hinter Statistiken Menschen stehen. Auch, wenn „nur“ zehn Prozent unter starken Nebenwirkungen leiden, ist das für die ja schlimm. Ich will mehr ins Bewusstsein rücken, dass wissenschaftlich interessante Themen nicht unbedingt relevant für Betroffene sind. Es fehlt an Untersuchungen zu Langzeitfolgen, weil es nicht innovativ ist. Dabei ist das aus Patientensicht enorm wichtig, um eine Entscheidung für oder gegen eine Therapie zu treffen.

Da sind wir bei einem weiteren Thema: Shared Decision Making, der gemeinsamen Entscheidung von ärztlich Behandelnden und Betroffenen. Was kann man sich darunter konkret vorstellen?

Was wird in SURVIVE gemacht?

SURIVIVE will herausfinden, ob und wie lange vorher sich ein Rückfall durch bestimmte Werte im Blut (Biomarker) ankündigt. Die Teilnehmerinnen werden verdeckt (verblindet) auf zwei Gruppen aufgeteilt. Allen wird regelmäßig Blut entnommen, das der Kontrollgruppe eingefroren und das der Frauen im experimentellen Arm untersucht. Bei verdächtigen Werten sucht man mittels Bildgebung nach Metastasen. Finden sich solche, wird Leitliniengerecht behandelt.

Lassen sich keine nachweisen, können die Betroffenen in eine Studie wechseln, die womöglich im Körper versteckte Krebszellen mit Antikörpern zurückdrängen soll.

Entdeckt SURVIVE taugliche Biomarker, könnten diese zukünftig in der Nachsorge (Betreuung nach einer Behandlung) zur Früherkennung eines Rückfalls eingesetzt werden. Mehr

Dr. Cindy Körner: Betroffene müssen so informiert werden, dass sie für sich passend entscheiden können. Leider wird das in der Realität oft nicht gelebt. Beispiel Tamoxifen: Aus klinischer Sicht ist ein Rezidiv schlimmer als eine Lebensqualitätseinschränkung, daher wird es allen angeboten. Hört die Patientin, dass laut Leitlinie fünf Jahre Tamoxifen-Behandlung folgen, klingt das alternativlos. Wird ihr gesagt, dass Tamoxifen ihre Rückfallgefahr halbiert, klingt das dramatisch mehr, als wenn man erklärt, dass mit Tamoxifen das Rückfallrisiko fünf Prozent beträgt und ohne Tamoxifen zehn Prozent. Man kann genauso sagen: 90 Prozent der Frauen sind ohne das Medikament geheilt! Die Art der Kommunikation und Vermittlung spielt also eine wesentliche Rolle, damit die Patientin anhand ihrer individuellen Bedürfnisse entscheiden kann.

Kann die Krebsforschung dazu beitragen, dass Betroffene individuell gute Entscheidungen treffen können?

Dr. Cindy Körner: Ja, Studien sollten zum Beispiel neben einem Überlebensvorteil immer auch die Lebensqualität erfassen. Sonst fehlt Betroffenen eine für ihre Entscheidung enorm wichtige Information. Patientenvertretende, die von Beginn an eingebunden sind, können das anregen.

Gibt es Hemmschwellen bei Forschenden gegenüber der Patientenbeteiligung?

Dr. Cindy Körner: Neues ist unbequem. Für Grundlagenforschende sind Patientinnen und Patienten eine fremde Welt.
Übrigens sind Forschende genau wie Ärztinnen und Ärzte oft total überrascht, wie pragmatisch wir Patientenvertretenden sind. Wir wollen etwas voranbringen. In der Wissenschaft gibt es dagegen Strukturen, die das Konkurrenzdenken fördern, es geht um Karriere und Forschungsfördergelder. Von Patientenseite will ich nur wissen: Wie können wir das gut machen?
Es ist eine ganz tolle Chance, dass uns Patientinnen und Patienten jetzt so zugehört wird. Es herrscht Aufbruchstimmung in der Patientenbeteiligung, die will ich unterstützen.

Liebe Frau Dr. Körner, vielen Dank für das informative Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute und gutes Gelingen bei Ihrer wichtigen Arbeit!

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