Navigation und Service

Wie Tumorzellen den Schutzwall des Körpers durchbrechen

Ein internationales Forschungsteam will die Geheimnisse der Krebsentstehung entschlüsseln. Ihr Ziel: Die verborgenen Mechanismen aufdecken, die frühe Tumorzellen in tödliche Tumoren verwandeln und neue Ansätze für Therapie und Prävention entwickeln.

Forschende aus Großbritannien, Südkorea und Deutschland untersuchen gemeinsam, wie Krebs im Epithelgewebe entsteht. Das Epithel kleidet unter anderem Speiseröhre und Magen-Darm-Trakt aus und schützt den Körper vor schädlichen Einflüssen. Epithelstammzellen erneuern sich ständig, um Schäden zu reparieren. Mutationen in diesen Stammzellen können jedoch zur sogenannten Feldkanzerisierung führen: Mutierte Zellen vermehren sich lokal und bilden genetisch identische Zellansammlungen, sogenannte Tumorzellklone. Diese Klone sind noch nicht bösartig, haben aber das Potenzial dazu, wenn weitere Mutationen hinzukommen.

Wie Tumorzellklone den Schutz umgehen

Normalerweise hegen gesunde Umgebungszellen die Klone ein und verhindern ihre Ausbreitung. Der Forschungsverbund, zu dem auch Prof. Daniel Stange von der Uniklinik Dresden und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) gehört, will verstehen, warum dennoch manchmal Tumorzellklone entkommen und Krebs entsteht. Daher rührt auch der Name des Forschungsverbunds – „ClonEscape“.

Bisherige Forschung zeigt, dass Verletzungen, Entzündungen und Alterungsprozesse es den Tumorzellklonen eher erlaubt, die natürlichen Barrieren zu überwinden. Das Team untersucht, wie diese Faktoren die frühe Krebsentstehung befeuern.

Prof. Stange umreißt das Ziel des Projekts so: „Das im Projekt generierte Wissen über molekulare Abläufe soll helfen, Biomarker zu entwickeln, die kleine Tumorzellklone früh anzeigen. So könnten wir das Durchbrechen der körpereigenen Schutzmechanismen überwachen und rechtzeitig eingreifen. Mittelfristig wollen wir schützende Prozesse verstärken und schädliche hemmen.“

Innovative Methoden: Von Mini-Organen bis zu mathematischen Modellen

Um den Fragestellungen im Detail nachzugehen, nutzt das Forschungsteam verschiedenste innovative Techniken. Jedes Teammitglied bringt dabei hohe Expertisen für bestimmte Methoden mit in das Projekt ein. Prof. Stange beschreibt das Vorgehen und die Zuständigkeiten der Kooperationspartner bei den geplanten Untersuchungen.

3D-Organoide

„Im Projekt entwickeln wir aus Epithel- und Umgebungszellen von Patientinnen und Patienten 3D-Organoide. Diese „Mini-Organe“ modellieren das Zusammenspiel von gesunden und krankhaft veränderten Zellen“, sagt Prof. Stange. Die britische Biologin Dr. Maria Alcolea ist hierbei eine Spezialistin für die Speiseröhre, während Prof. Stange auf Mini-Organe des Magens und Darms spezialisiert ist. Unter anderem nutzen die Forschenden auch Epithelgewebe von älteren Menschen und solchen mit entzündlichen Vorerkrankungen, um herauszufinden, ob und wie diese Faktoren die Schutzmechanismen einer Krebsentstehung beeinflussen.

Farblich markierte Tumorzellklone aus der Darmschleimhaut. Mutierte Zellklone sind rot, gesunde blau und gelb. Während links das Verhältnis noch ausgewogen ist, dominieren die roten im rechten Bild. Tumorzellklone aus der Darmschleimhaut
Farblich markierte Tumorzellklone aus der Darmschleimhaut. Mutierte Zellklone sind rot, gesunde blau und gelb. Während links das Verhältnis noch ausgewogen ist, dominieren die roten im rechten Bild. © Bon-Kyoung Koo

CRISPR/Cas

Der südkoreanische Genetiker Dr. Bon-Kyoung Koo verwendet die nobelpreisgekrönte Genschere CRISPR/Cas um gezielt krebstypische Mutationen in Epithelzellen einzubringen, die er zudem farblich sichtbar macht. So lässt sich unter dem Mikroskop verfolgen, wie sich die verschiedenen Zellklone im Organoid verhalten. „Hiermit können wir beobachten, wie ein krankhafter Zellklon von gesunden Zellen eingedämmt wird und wann er sich durchsetzt“, erläutert Stange.

Molekulare Analysen

Das Team analysiert auch die Inhalte der Zellen mit Omics-Methoden. Diese zeigen u.a. an, welche Gene aktiv sind oder welche Proteine produziert werden und deckt entscheidende Unterschiede zwischen gesunden und mutierten Zellen auf. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen zudem eine Methode, die Zellen innerhalb des Zellverbands fixiert, und können damit die molekularen Vorgänge mit dem räumlichen Verhältnis der Zellen zueinander in Verbindung bringen.

Genetisches Barcoding

Mithilfe des genetischen Barcodings verfolgt das Team die genetische Entwicklung der Klone. Diese Methode zeigt, welche Zellen miteinander verwandt sind und wie sie genetisch auseinanderdriften. Das soll Aufschluss über die klonale Evolution und die genetische Vielfalt von Tumoren (Tumorheterogenität) geben, die die Krebsbehandlung oft erschwert. Die Aufklärung der Thematik hatte die AG Große ungelöste Fragen der Krebsforschung, zu der auch Prof. Stange gehört, in der Nationalen Dekade gegen Krebs als zentrales Forschungsziel definiert.

Mathematische Modelle zur Simulation

Der britische Physiker Prof. Benjamin Simons ergänzt die Arbeit mit mathematischen Modellen. Er simuliert, wie Zellklone in den untersuchten Geweben interagieren, um die Dynamik und Wechselwirkung der Zellen besser zu verstehen. „Das ist es, was das Konsortium auszeichnet“, hebt Prof. Stange hervor, „Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen kommen zusammen, die menschliche Organmodelle entwickeln, genetisch manipulieren und das mathematisch exakt modellieren können.“ 

10 Millionen Euro für interdisziplinäre Spitzenforschung

Das Team erhält für die Durchführung einen Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats in Höhe von knapp 10 Millionen Euro. Dieser fördert gemeinsame Projekte von herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um Forschung auf Gebieten voranzubringen, die eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordern. Mit Prof. Daniel Stange ist ein sogenannter Clinician Scientist beteiligt. Diese praktizierenden Mediziner verbringen einen Teil ihrer Zeit mit Forschung und sorgen dafür, dass Erkenntnisse praxisnah sind und schnell am Krankenbett ankommen.

Partner und Unterstützer