„Es gibt ein langes Leben nach dem Krebs“
Mit 28 Jahren erkrankte Claudia Liane Neumann an Darmkrebs. Sie hat die schwere Erkrankung durchgestanden und steht heute wieder voll im Leben. Für ihr Engagement im Kampf gegen Krebs erhielt sie 2018 den „Ehrenfelix“ der Felix Burda Stiftung.
Frau Neumann, Sie haben selbst eine Darmkrebserkrankung überstanden und engagieren sich seither in der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Was treibt Sie dabei an?
Ich möchte andere von meinen Erfahrungen profitieren lassen. An Darmkrebs zu erkranken, ist eine existenzielle Bedrohung. Wer in diese Situation gerät, ist im ersten Moment sehr hilflos. Ich selbst hätte mir damals einen Ansprechpartner gewünscht, der eine Idee davon hat, was da gerade mit mir passiert. Mich zu engagieren, gibt mir auch das Gefühl, dass aus dieser schrecklichen Situation etwas Gutes resultiert.
Was raten Sie Menschen, die gerade die Diagnose Krebs erhalten haben?
Ich habe damals sehr schnell gehandelt. Heute empfehle ich: „Geh erstmal zum Hausarzt und lass Dich wegen Erkältung krankschreiben.“ Das verschafft Zeit zum Nachdenken und um eine Strategie zu entwickeln. Man befindet sich in einer lebensbedrohlichen Situation und glaubt, sehr viele Dinge ganz schnell entscheiden zu müssen. Natürlich ist das zum Teil auch so, aber nochmal eine Nacht über etwas schlafen geht meistens doch und hilft dabei, die beste Entscheidung zu treffen.
Ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt, ist Unfruchtbarkeit als Folge von Krebserkrankungen. Das ist vor allem für junge Menschen ein wichtiger Aspekt. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Bei der Finanzierung von fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen. Für mich ist es ein Unding, zu sagen: Therapie ist notwendig, aber die Folgen von Bestrahlung, Chemo oder OP musst Du alleine tragen.
Es geht um das Einfrieren von Samenzellen, oder bei Frauen Eizellen und Eierstockgewebe, richtig? Bislang wird diese Behandlung nur in einigen Fällen bei Krebserkrankten von den Krankenkassen übernommen.
Genau, das kostet bei Frauen um die 4.000 Euro. In meinem Fall war das leider ohnehin zeitlich nicht mehr möglich, weil meine onkologische Therapie möglichst schnell starten musste. Aber ich hätte das Geld auch nicht gehabt. Mein damaliger Mann und ich hatten gerade ein Haus gekauft und jeden Cent da reingesteckt.
Und es geht noch um etwas anderes: Krebs ist in vielen Köpfen eine Erkrankung für Leute ab 55. Mir ist wichtig, dass die jungen Leute gesehen werden. 80 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 39 überleben die Krebserkrankung. Für uns gibt es noch ein langes Leben danach. Und dazu gehört eben auch die Familienplanung. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs engagiert sich seit Langem für eine entsprechende Änderung im Sozialgesetzbuch 5. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das zum 1. April 2019 in Kraft treten soll, passiert das nun. Damit wird vielen Krebspatientinnen und -patienten der Kinderwunsch durch Kostenübernahme der fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen ermöglicht werden und darüber bin ich sehr froh.
Aber Ihnen hilft das nicht.
Auf gewisse Weise doch. Ich konnte dazu beitragen, dass ein Gesetz geändert wird. Das ist ein gutes Gefühl. So komme ich aus der Hilflosigkeit heraus, die ich als Krebspatientin gespürt habe. Es ist ein Rollen- und Paradigmenwechsel vom Opfer hin zur Kämpferin.
Sie sprechen unverblümt über Ihre Erkrankung, auch über unangenehme Begleiterscheinungen. Wie ist das für Sie?
Manche Themen sind anderen unangenehmer als mir selbst. Ich lebe seit vier Jahren mit einem Stoma-Beutel, in dem Stuhl gesammelt wird und den ich regelmäßig wechseln muss. Ich lebe sehr gut damit. Ich kann schwimmen, in die Sauna gehen, ich arbeite Vollzeit. Ich rede offen darüber, weil es der einzige Weg ist, Menschen darüber aufzuklären, wie man mit und nach dem Krebs gut leben kann.
Wie reagiert ihr Umfeld?
Für mein Engagement und meinen offenen Umgang bekomme ich viel Bewunderung. Schwieriger war es, als ich krank wurde. Einige Freunde haben sich von mir abgewendet, weil sie nicht mit der Situation umgehen konnten. Sie hatten Angst, dass ich sterbe, und wussten nicht, ob und wie sie mit mir darüber reden sollten.
Mit der Nationalen Dekade gegen Krebs möchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit den Partnern der Dekade unter anderem innovative Forschungsergebnisse schneller zu den Menschen bringen und umgekehrt auch die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten stärker einbeziehen. Wie kann das gelingen?
Mit der Krebsbehandlung selbst war ich sehr zufrieden. Ich wünsche mir aber, dass die psychologische Betreuung größere Wertschätzung erfährt. Zum Teil muss man sehr lange auf Termine warten – oder psychologische Unterstützung wird gar nicht erst angeboten.
Außerdem sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert werden. Meine Erfahrung ist, dass jeder eher für sich arbeitet: Chirurgen, Strahlentherapeuten, Chemotherapeuten. Ich hatte nach der Bestrahlung mehrere gynäkologische Probleme. Da würde ich mir mehr Weitsicht von den einzelnen Disziplinen wünschen: dass der Chirurg nicht nur den kranken Darmabschnitt sieht, sondern bei einer Frau auch die benachbarten Organe im Blick hat und vielleicht mal mit der Gynäkologin spricht.
Welche konkreten persönlichen Tipps möchten Sie anderen Patienten weitergeben?
Für mich war die Erkenntnis sehr wertvoll, auch mal egoistisch zu sein, die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür wurde ich auch kritisiert. Ich habe sogar eine Zeit lang meine Eltern ausgeladen. Ich wollte keine Ratschläge, kein Mitleid, ich brauchte Zeit für mich. Es war wichtig, in diesem Moment egoistisch zu sein.
Entscheidend ist für mich auch die Frage, wo man sich Rat holt. Der Bekanntenkreis ist ein bisschen wie Dr. Google: viel gefährliches Halbwissen. Mein Tipp ist, sich an eine Institution zu wenden, wie etwa die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Dort bekommt man einerseits seelische Unterstützung. Die haben aber auch Fachleute an der Hand und vermitteln Kontakt zu anderen Betroffenen.
Welche Empfehlungen und Wünsche möchten Sie als Krebspatientin gern Forscherinnen und Forschern, Ärztinnen und Ärzten und allen am Thema Krebs Beteiligten bzw. der Dekade insgesamt mit auf den Weg geben?
Ich finde es wichtig, dass sich auch Forschungseinrichtungen noch besser vernetzen, auch interdisziplinär. Außerdem sollte die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ausgebaut werden. Es dreht sich immer alles nur um den Erkrankten. Natürlich ist das wichtig. Aber zum Gesundwerden gehören nicht nur Chemo, OP und Bestrahlung, sondern auch ein gesundes Umfeld. Es nützt nichts, wenn Eltern vor lauter Sorge keine Stütze sein können. Deshalb sollte ihnen dabei geholfen werden, ihr Kind zu unterstützen. Das gilt natürlich auch für Partner und Freunde.